73,9 % Finnlands ist mit Wald bedeckt; so ist es nicht ungewöhnlich, dass es dort ein ähnliches Sprichwort gibt, wie im Deutschen: „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“. Auf Finnisch klingt das so „Ei nae metsää puilta“ und möchte sagen, dass man immer nur einen Teil sieht, und nie das Ganze.
Dieser war sicherlich auch der Fall, als zwei Brüder der Communauté diesen Herbst in Finnland unterwegs waren. Als erstes fallen einem die „exotischen Bäume“ auf, die über den Wald hinauswachsen. So zum Beispiel die Einwanderer mit ihren bunten Kleidern in Helsinki und den anderen größeren Städten des Landes. Ihre Frauen gehen oft verschleiert und werden manchmal für Muslime gehalten, obwohl sie meistens Christen sind, und aus dem Irak, dem Iran, der Türkei oder aus Pakistan kommen. 2011 lebten 140.000 Menschen in Finnland, die nicht hier geboren wurden, was einem Bevölkerungsanteil von 2,7 % entspricht.
Im Haus eines Ikonenmalers
Daneben heben sich auch die Menschen aus den älteren Einwanderungsländern - Schweden und Russland - vom Wald ab. Die meisten Ortschaften in Finnland haben zwei Namen, einen finnischen und einen schwedischen. Im Osten des Landes hört man oft auch, dass russisch gesprochen wird.
Den Vergleich mit dem Wald kann man in Finnland auch auf die Kirche anwenden. Dann wäre der Großteil der Bäume Lutheraner. 78,2 % der Finnen gehören der lutherischen Kirche Finnlands an. Neben lutherischen Kirchengemeinden besuchten die Brüder auch orthodoxe Christen (1,1 %) entlang der Grenze im Osten des Landes. Sie besuchten auch die zwei Klöster von Neu Valamo und Lintula. Die Finnisch-orthodoxe Kirche gehört als eigenständiges orthodoxes Erzbistum zum Patriarchat von Konstantinopel; die Liturgie wird seit über einem Jahrhundert auf Finnisch gefeiert. In Finnland gibt es die wenigsten Katholiken in ganz Europa, insgesamt kaum mehr als 9.000. Nach dem Sonntagsgottesdienst in der St. Henrik´s Kathedrale in Helsinki trafen die Brüder eine kleine Gruppe Jugendlicher, die gerade vom Weltjugendtag in Madrid zurückkamen und noch voll von den Eindrücken ihrer Reise waren.
Auf einem Pilgerweg des Vertrauens ist man die meiste Zeit unter Jugendlichen: an der Uni, an Schulen, oder mit jungen Arbeitern. Es ist jedes Mal eine wahre Freude, sich von ihnen zeigen zu lassen, wo und wie sie leben. In Finnland sind die Pfarrhäuser oft noch das Zentrum des Lebens im Dorf bzw. der Kleinstadt: ein sicherer Ort für die Freizeit, ein Ort, um über die großen Fragen des Lebens nachzudenken. Es ist eine große Ehre, wenn Jugendliche oder Gruppenleiter einen einladen, und man ihre Geschichten zu hören bekommt und die Kämpfe des Alltags.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Der Jüngste, den wir auf unserer Reise trafen, war Eero, gerade erst fünf Wochen alt! Am Tag nach seiner Geburt ließ sein Vater ihn mit seiner Mutter alleine, um eine Gruppe Jugendlicher aus der Gemeinde nach Taizé zu begleiten! Die ältesten Personen, die wir trafen, waren Anna-Maija Raittila (Nieminen), 83 Jahre alt, eine Dichterin, die als erste die Gesänge aus Taizé ins Finnische übersetzte. Und neben ihr Elisabeth de Godzinski, 94 Jahre alt, die in den achtziger Jahren mehreren Brüdern in Taizé Russischunterricht gegeben hatte. Beide leben jetzt in einem Altersheim der Orthodoxen Kirche. Sie zu besuchen, ist selbst schon ein Pilgerweg.
Anna-Maija Raittila
Aber zurück zum Thema: wie kann man den Wald vor lauter Bäumen sehen? Die Finnen wissen, wie wichtig der Wald ist. In Finnland gibt es genug Wald für alle. In Mitteleuropa wurden im Mittelalter die meisten Wälder abgeholzt. Man dachte, es wäre vergeudetes Land. Heute wissen wir besser, wie wichtig der Wald ist, dass er Sauerstoff produziert und den Planeten atmen lässt. Finnen gehen in den Wald, um Ruhe zu finden und um sich zu erholen. In vielerlei Hinsicht ist die Kirche wie ein anderer Wald. Kirchengemeinden sind kein „vergeudeter Raum“, sondern Orte, die der Welt Sauerstoff geben.