TAIZÉ

Japan 2012

Eine Woche in Yonekawa und Minamisanriku

 
Ein Bruder der Communauté hat eine Woche lang als Freiwilliger in der vom Tsunami des 11. März 2011 betroffenen Gegend geholfen. Er schreibt: „Im November vergangenen Jahres hatte ich in Kamaishi einen Pfarrer der United Church (Kyodan) besucht und am Eingang seiner Kirche die Worte gelesen: „Wir brauchen keine Geld, wir brauchen dich und dein Gebet.“ So entstand die Idee, als Freiwilliger zurückzukommen.

In der Caritaszentrale von Yonekawa haben die Freiwilligen den ganzen Tag zu tun, der um 6.30 Uhr mit einem kurzen Gebet beginnt, zu dem alle eingeladen sind. Michio war als Freiwilliger in Taizé gewesen, er koordiniert die Arbeit im Zentrum. Am Anfang liest er einen Abschnitt aus dem Brief „Auf dem Weg zu einer neuen Solidarität“. Das Gebet ist sehr schlicht, niemand wird vereinnahmt und jeder fühlt sich willkommen. Dann gibt es Frühstück, das Picknick für das Mittagessen wird vorbereitet und es geht los mit dem Kleinbus zum Zentrum der Freiwilligen: Ein großes Zelt, verschiedene Einrichtungen und eine kleine mobile Klinik, die von Leuten aus Minamisanriku betrieben wird; die Arbeiten werden nach Dringlichkeit verteilt. Dann fahren wir zu den Einsatzorten, wo von 9 Uhr bis 15.30 Uhr gearbeitet wird. Danach fahren wir zurück und nach dem Abendessen ist noch Zeit zum Gespräch.

Am ersten Tag helfen wir zwei Fischern, ihre Netze zu reparieren, im Freien, direkt am Meer. Wir sitzen auf Kisten, schneiden die Knoten durch und die Fischer reparieren das Netz. Es ist wie ein Besinnungstag. Hier und da ein Wort mit dem Nachbarn, sonst Schweigen, ergriffen von der Schönheit der Landschaft. Aber man braucht nur den Kopf zu drehen, um die Verwüstungen des Erdbebens und des Tsunami zu sehen: Weder das eine noch das andere kann man abweisen, weder die Schönheit der Natur noch die Katastrophe, man kann nur Ja sagen. In den folgenden Tagen arbeiteten wir mit dem „Wakame“ (Seetang). Es ist Hochsaison zum Sammeln der Algen, die hier zu jeder Mahlzeit gehören. Es gibt hier keinerlei Infrastruktur mehr und kaum Arbeitskräfte. Ein Fischer erzählt: „Ohne Dich wüssten wir nicht, was wir tun würden.“

Ein Ehepaar lädt uns zum Essen in ihr Zelt ein. Ein Holzfeuer wärmt die Atmosphäre. Langsam erzählen sie, dass sie alles verloren haben. Auch die Großmutter konnten sie nicht retten, sie war 102 Jahre alt. Er war gerade auf dem Meer. Als er begriff, was los war, fuhr er mit seinem Boot weit hinaus, blieb drei Tage und Nächte auf See und musste zusehen, von keinem der herumtreibenden Wracks gerammt zu werden. Dann kehrte er zurück und suchte seine Frau, die in die Berge fliehen konnte.

Wir besuchten drei verschiedenen Orten entlang der Küste. Seit November ist alles sauber gemacht und aufgeräumt worden, aber dort wo einst die Stadt war, ist jetzt eine Wüste aus Zement. Die vom Salzwasser beschädigten Bäume wurden gefällt. Unterwegs kommen wir an Autofriedhöfen vorbei, an Bergen von Autoreifen und aufgeschichteten Baumstämmen. Überall wird gearbeitet: die Straßen werden repariert und Behelfsbrücken gebaut. Ein großes Problem stellt die Entsorgung der Abfälle dar.

An einem Tag lädt uns der Vorsitzende der örtlichen Fischer zum Chichimaifest (Löwentanz) ein. Dies ist ein traditionelles Fest von Miyagi und eine schintoistische Reinigungszeremonie, die in Minasanriku groß gefeiert wird. Nach dem Abendessen begann er zu erzählen. Er war innerlich bewegt und dankbar, denn letztes Jahr musste die Feier noch ausfallen. Der Schuppen, in dem wir saßen, war voll Schlamm und Geröll. Er sagte: „Ich hätte nie gedacht, dass wir heute die Freude zum Feiern finden würden.“

Michio: „So viele Menschen sind immer noch vermisst... die Toten haben wir gefunden, aber es gibt viele Vermisste. Der Leiter des Zentrums hat seine Frau verloren, bis jetzt wurde sie nicht gefunden. Unter den jungen Menschen, die hier arbeiten, haben einige ihre Angehörigen verloren. Man spürt ihre Trauer. Manchmal möchte ich nicht reingehen, aber dann spreche ich mit ihnen; ich komme, um bei ihnen zu sein.“

Jede Woche besuchen die Caritasmitarbeiter die „provisorischen Häuser“. In der ersten Zeit lebten die Betroffenen in Notunterkünften, meist große Gemeinschaftszelte. Die Regierung hat dann Mini-Dörfer aus Fertighäusern aufgestellt. Eines davon dient als Versammlungsstätte, in der gemeinsame Veranstaltungen stattfinden. Dort haben wir uns verabredet. Die meisten hier sind alte Leute, isoliert, weil diese Dörfer auf dem flachen Land, weit weg von allem, gebaut wurden, es gibt keine Geschäfte, rein gar nichts. Eine Gruppe Freiwilliger und eine Ordensschwester bieten verschiedene Veranstaltungen an.

Die Arbeit der Freiwilligen ist sehr anstrengend und es ist wichtig, dass sie, die meist mehrere Monate in Vollzeit dort arbeiten, sich erholen können. In der Nähe des Zentrums gibt es im Wald eine Höhle, in der Christen im siebzehnten Jahrhundert heimlich Gottesdienst gefeiert hatten. Der Pfarrer wurde später zum Märtyrer. Daneben ist ein Park zur Erinnerung an weitere 300 Märtyrer des Glaubens. Vier Jahrhunderte trennen dies Christen von den Opfern des 11. März 2011, aber ihr Mut und ihre Würde sind die gleichen. Als Kreuzweg sind wir die 300 Stufen zur Kapelle hinaufgestiegen. Der Klang der Glocke hallte durch den Wald, der diesen Wallfahrtsort umgibt: Eine Einladung, dem Beispiel dieser Frauen und Männer zu folgen, die ihr Leben hingegeben haben, um Zeugen der Liebe Christi zu sein.

Diese Woche war voll von Zeichen der Dankbarkeit der Menschen hier: „Sie sind von weit her gekommen, um uns zu helfen. Wenn Euch einmal etwas zustößt, werden wir kommen.“ Verwurzelt im morgendlichen Gebet, getragen durch das hingegebene Leben der Christen, die den Menschen hier helfen, konnten wir in Gemeinschaft mit den Opfer leben: Freiwillige aus allen Himmelsrichtungen, jeden Alters, Gläubige und Nicht-glaubende. Und wir haben eine Freude entdeckt, die erahnen lässt, was die „neue Solidarität“ bedeutet.

Letzte Aktualisierung: 27. Mai 2012