Frère Alois am 9. September 2012 während eines vom französischen Fernsehen aus Taizé übertragenen Gottesdienstes:
Aus ganzem Herzen begrüße ich alle, die über das Fernsehen an diesem Gottesdienst teilnehmen. Das heutige Sonntagsevangelium (Markus 7,31-37) berichtet, wie Jesus einen Mann heilt, der taub war und kaum sprechen konnte. Ich möchte in besonderer Weise alle unter Ihnen begrüßen, die an einer Behinderung leiden, und all, die Ihnen nahe sind und die Sie lieben.
„Ephata!“ lauten die Worte Jesu in seiner Muttersprache. „Öffne dich!“ sagt er zu dem Behinderten. Der Prophet Jesaja hatte angekündigt, dass Gott selbst kommen wird, um den Armen Gerechtigkeit zu verschaffen. In Jesus Christus erfüllt sich diese Ankündigung. Er geht auf die Armen und Ausgegrenzten zu.
Aber schauen wir genauer hin: Es kamen viele Kranke zu Jesus, doch er heilte nicht alle und gebot den Leuten sogar, nicht von diesem Wunder zu sprechen. Was wollte er also wirklich? Mit den Worten „Öffne Dich!“ öffnet er nicht nur die Ohren und den Mund des Mannes, sondern er öffnet auch dessen Herz für das Heil, das Gott schenkt.
Gleichzeitig möchte er allen Menschen etwas erklären. Er fordert uns alle auf, den Kranken und Ausgegrenzten gegenüber eine neue Haltung anzunehmen, eine Haltung der Barmherzigkeit und des Respekts.
Als er später seine Jünger aussendet, sagt er ihnen: „Heilt die Kranken!“. Damit gibt er ihre keine wundersame Macht, mit der alles leicht würde, sondern er sagt zu ihnen: „Geht und seid denen nahe, die leiden!“
Ich erinnere mich, wie Frère Roger uns früher in Slums auf den südlichen Kontinenten mitnahm. Ihm war klar, dass wir nicht über Ungerechtigkeit und Armut reden können, ohne uns selbst in das Elend der Menschheit zu begeben.
Wir können auch ohne große Mittel und übernatürliche Kräfte denen nahe sein, die ärmer sind als wir. In ihnen kommt Christus auf uns zu, und durch sie sagt Christus zu uns: „Öffne Dich, öffne dein Herz für das Evangelium.“
Wenn wir selbst leiden, hoffen wir natürlich auf Heilung oder materielle Hilfe, aber wir erwarten auch, dass jemand sich für uns Zeit nimmt. Ein solches Zeichen der Barmherzigkeit reißt die Mauer der Vereinsamung ein, die mit jeder schweren Krankheit verbunden ist.
Die Begegnung Jesu mit dem Taubstummen fand in einem anderen Land statt. Jesus wendet sich den anderen Völkern zu. Aber es verkündet das Evangelium nicht nur in fremden Ländern, er geht dafür bis in den Tod. Es berührt das Böse nicht nur, das einen Menschen niederstreckt, sondern reißt es mit der Wurzel aus.
Christus offenbart die Würde, die jeder Mensch besitzt. Er hat uns eine neue Solidarität hinterlassen. Bereits im Jakobusbrief lesen wir, dass unsere christlichen Gemeinden dazu berufen sind, ein Zeichen dafür zu sein, dass Gott „die Armen in der Welt erwählt hat.“ Setzen wir also alles daran, dass unsere Gemeinden, Gemeinschaften und Gruppen zu Orten des Miteinanderteilens und der Freundschaft werden.
„Ephata, öffne Dich!“ Christus öffnet unsere Herzen für die Liebe Gottes und damit gleichzeitig für die Liebe zu den Menschen, die er uns anvertraut. Dann können wir durch unser Leben dieses Wort anderen weitersagen, damit die Welt sich immer mehr der Hoffnung Christi öffnet.