Auf unserer Suche, neue Solidarität zu schaffen und Wege
des Vertrauens zu bahnen, gehen wir durch leidvolle Prüfungen, die es immer wieder geben wird. Bisweilen drohen sie uns zu überwältigen. Was sollen wir dann tun? Besteht unsere Antwort auf die leidvollen Prüfungen, welche wir selbst oder andere durchleben, nicht darin, immer tiefer zu lieben? (Frère Alois, „Brief 2012 – Auf dem Weg zu einer neuen Solidarität“.)
Julia (Deutschland)
Für mich ist es wichtig, meine Umgebung und die Menschen, die ich treffe, bewusst zu sehen – ich versuche ganz einfach, offen und freundlich sein und wenn nötig, den ersten Schritt auf andere zu zu tun. Manchmal braucht man nur ins Gespräch kommen, um die Reaktion der Leute zu sehen und persönlichen Kontakt aufzunehmen. Denn wenn mich ein Unbekannter anspricht, würde ich wahrscheinlich gerne wissen, was er von mir denkt. Ich sollte öfter daran denken, wenn ich zögere, mit jemandem neben mir im Bus oder in der Warteschlange zu sprechen.
Magali (Frankreich)
Die Worte von Frère Alois beim Abschlussgebet in Berlin und eine Sammlung von Interviews mit Coline Serrault, „Good food bad food – Anleitung für eine bessere Landwirtschaft“ (Solutions locales pour un désordre global) hat mich zum Nachdenken gebracht, vor allem über die Umwelt. Einen konkreten Schritt habe ich auch schon unternommen: Ich bin zu meinem Nachbarn gegangen, einem Rentner, der einen großen Garten hat und bestimmt viel zu viel für sich und seine Frau erntet. Nun ist er sehr stolz darauf, mit uns seine Ernte zu teilen, und wir haben im Tauschhandel auf einmal gutes Gemüse aus der Nachbarschaft. Ich habe ihm von unserer Gruppe „Christen in ländlichen Gegenden“ erzählt, und wir kamen auf die Idee, einen Blog mit einer Liste der örtlichen Erzeuger einzurichten – diesmal ganz offiziell – denn es gibt mehr Gemüse, Fleisch und Obst in den umliegenden Dörfern als man denkt.
Die folgenden beiden Berichte stammen von einem Thementreffen in diesem Sommer in Taizé, das unter dem Thema stand: „Erfahrungsaustausch über Solidarität mit Menschen in unserer Umgebung“:
Maria (Rumänien)
Ich bin in einem Dorf in Rumänien aufgewachsen, wo das Leben sehr einfach ist. Ich habe viel über das Vertrauen gelernt und wie man miteinander teilt. Unsere Türen sind immer offen und unsere Nachbarn gehen bei uns ein und aus, so als wären sie bei sich zu Hause; wenn sie zum Beispiel einmal Salz oder Öl brauchen und wir gerade nicht zu Hause sind, können sie sich bedienen, ohne uns zu fragen. Alles beruht auf Vertrauen, auf Miteinanderteilen und gegenseitiger Hilfe. Wir arbeiten auch viel zusammen. In der Landwirtschaft hilft jeder reihum beim Nächsten mit, um die Arbeit schneller zu erledigen. Ich glaube, das ist Solidarität, Vertrauen, Zusammenarbeit und Liebe, für den anderen da zu sein. All dies habe ich in meinem Elternhaus gelernt, und ich bin dankbar dafür, denn ich habe entdeckt, dass man dies besonders bei einfachen und bescheidenen Menschen findet.
Daniel (Portugal)
Es stimmt, dass Gott will, dass wir unsere Eltern achten, und wir können dies in Werte umsetzen wie Loyalität, Respekt und vor allem Liebe. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Aber manchmal versuchen Eltern, ihre heranwachsenden Kinder davon zu überzeugen, so zu leben, wie sie selbst leben, oder wie sie früher gerne gelebt hätten. Manchmal können Eltern nur sehr schwer akzeptieren, dass ihre Kinder einen anderen Weg nehmen wollen. Allerdings, wenn sie kein Vertrauen in die Entscheidungen ihrer Kinder haben, laufen Eltern Gefahr, die Träume ihrer Kinder zu bremsen. Wirkliche Solidarität in der Familie bedeutet für mich, dass die Eltern ihren Kindern in den Entscheidungen des Lebens Vertrauen schenken.
Im August fand in Taizé ein Workshop mit einem Verantwortlichen des "Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria" statt:
Marius (Deutschland)
An unserer Schule wurde ein Projekt erarbeitet, um junge Menschen über Aids aufzuklären. In diesem Rahmen hatten wir die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die mit dieser Krankheit leben. Nach dem ersten Treffen haben wir gemerkt, dass die soziale Ausgrenzung oft schlimmer ist als die Krankheit selbst. Ein Mann erzählte uns, dass er, als er von seiner Infizierung erfuhr und mit seiner Familie und seinen Freunden darüber sprach, einige den Kontakt zu ihm abgebrochen haben. Sein Chef hat ihn entlassen, weil er Angst hatte, er würde seine Kollegen anstecken. Seine Mutter wollte nicht einmal mehr mit ihm essen. Wegen dieser unbegründeten Diskriminierung hat er begonnen, offen über seine Geschichte zu sprechen, um zu zeigen, dass er trotz seiner Krankheit "normal" geblieben ist. In Wirklichkeit sind Person mit AIDS überhaupt nicht gefährlich: soziale Ausgrenzung beruht auf mangelnder Information!
Dimitri (Frankreich)
Als ich 15 war, bin ich im Rahmen eines humanitären Projekts nach Peru gefahren. Mit einer Jugendgruppe haben wir in einem Slum ein Haus für eine Mutter und ihre Tochter gebaut. Die Aktion wurde als humanitär bezeichnet und man kann eine solche einseitige Hilfe leicht kritisieren. Doch diese Reise hat mich vom Gegenteil überzeugt. Es kam mir am Ende so vor, als hätte ich mehr erhalten, als ich gab. Aus der humanitären Tat wurde gelebte Solidarität, Franzosen und Peruaner bauen zusammen ein Haus. So haben wir uns durch die gegenseitige Hilfe, das Miteinanderteilen und das gemeinsame Ziel kennengelernt. Diese Reise hatte mich als Jugendlichen in meinem Charakter und meiner Persönlichkeit tief geprägt. Ich denke, Solidarität ist in erster Linie ein Akt der Toleranz und des Lernens.