Eine Besonderheit der Treffen während des ganzen Sommers hier in Taizé ist, dass wir aus verschiedenen Kirchen kommen. Durch unser gemeinsames Leben während einiger Tage lässt Gott uns die Einheit vorwegnehmen und gibt uns die Gelegenheit, aufeinander zuzugehen, so verschieden wir auch voneinander sind.
Die Suche nach der Einheit unter den Christen ist nicht nur eine Angelegenheit von Theologen und Kirchenverantwortlichen. Mehr als je zuvor kann jeder von uns in seinem Alltag mit Entschlossenheit „als Versöhnter leben“, um die Einheit voranzutreiben.
Als Versöhnte zu leben bedeutet nichts Statisches. Es ist ein Entschluss, auf die anderen zuzugehen, auf die, die nicht so sind wie wir. Wir tun dies nicht, um uns den anderen entgegenzustellen oder sie zu kritisieren, sondern um einander kennenzulernen und den Schatz des Evangeliums zu entdecken, aus dem der andere lebt.
Wir alle sind auf diesem Weg zur Versöhnung unterwegs, aber ich möchte heute Abend in besonderer Weise den Christen des Ostens danken. Den ganzen Sommer hindurch kommen junge orthodoxe Christen für eine Woche auf unseren Hügel, sie kommen aus Russland, der Ukraine, aus Weißrussland, Rumänien, Serbien und aus Griechenland. Unter ihnen befinden sich auch griechisch-katholische Christen.
Aber es kommen auch Christen der anderen orientalischen Kirchen, die auf diese Weise den Schatz ihres Glaubens und ihrer Tradition mit uns teilen: koptische Ägypter, Armenier, jakobitische und syro-malankarische Christen aus Indien. Letzte Woche hat Khulood, eine kaldäische Frau aus dem Irak, die mit ihrer Familie hier im Dorf lebt, von den Schwierigkeiten gesprochen, die ihr Volk gegenwärtig durchmacht.
Die Tatsache, dass Christus uns aus der ganzen Welt zusammenführt, ist eine einzigartige Ermutigung, um die Hoffnung nicht sinken zu lassen. In Zeiten, in denen es zwischen Ost und West zu großen Missverständnissen kommt, die manchmal tiefe Gräben aufreißen und sogar bewaffnete Konflikte hervorrufen, können wir Christen des Ostens und des Westens gemeinsam Salz der Erde und Sauerteig des Friedens sein.
Ich habe heute Abend zwei orthodoxe Christen gebeten, zu uns zu sprechen. Die Christen des Ostens stellen genauso wie die griechisch-katholischen Christen die Auferstehung Christi und die Bedeutung des Heiligen Geistes in der Kirche sehr stark in den Mittelpunkt. Wir alle können von diesem Schatz des Glaubens und des Gebets profitieren.
Olga und ihr Ehemann Micha haben in der Sowjetunion schwierige Zeiten erlebt. Als Olga sich taufen ließ, sagte ihre Familie, die sie sehr liebt, zu ihr: „Du hast uns Schande bereitet.“ Wir vergessen heute sehr oft, wie viele Glaubende aufgrund ihres Glaubens Nachteile und manchmal sogar Demütigungen hinnehmen müssen. Olga wird heute Abend einige Worte über Baba Vera sagen, eine Frau, die sie selbst noch gekannt hat:
Olga: Der Name „Vera“ bedeutet Glaube, und „Baba“ Großmutter. Wir nannten Baba Vera so, weil sie schon sehr alt war. Sie hatte nie eine eigene Familie, weil ihr Verlobter schon als junger Mann in einem Straflager ums Leben kam. Sie selbst verbrachte acht Jahre ihres Lebens im Gefängnis, im Lager und im Exil. Trotzdem habe ich kaum jemals einen fröhlicheren Menschen kennengelernt.
Sie war wegen ihres Glaubens im Gefängnis, genauso wie ihr Bruder und viele andere Mitglieder ihrer Kirchengemeinde. Ein Pfarrer lebte versteckt im Dachgeschoss ihres Hauses und feierte dort regelmäßig die Liturgie. Ihr Haus war eine geheime Kirche. Bis zu ihrer Verhaftung – ihr Bruder war damals bereits im Gefängnis – lebte sie mit ihrer alten und hilfsbedürftigen Mutter und einem gelähmten Kindermädchen zusammen. Man könnte denken, so etwas ist unmöglich, Gott wird solches Leid nicht zulassen.
Doch plötzlich begannen die letzten Worte dieses Pfarrers in ihr zu strahlen: Was immer geschieht, verzweifle nicht und klage Gott nicht an! „Meine Seele wurde hart wie ein Stein“, sagte sie, „und ich konnte nicht mehr beten. Und wie mechanisch wiederholte ich die Worte „Gelobt seist du, oh Gott!“ Als ich diese Worte sprach, schien sie innerlich unbeteiligt und tat dies nur, um mein Herz zu beruhigen.“
Frère Alois: Wir freuen uns, dass den ganzen Sommer über junge Ukrainer hier unter uns sind. Wir sind sehr betroffen von der Gewalt, die in ihrem Land herrscht. Marina lebt für mehrere Monate hier in Taizé mit. Sie wird nun ebenfalls einige Worte an uns richten:
Marina: Während dieser sehr schwierigen Zeit, in der wir Ukrainer auf Hilfe angewiesen waren, haben wir weder die Hoffnung noch das Vertrauen auf Gott verloren. Ganz im Gegenteil, unser Glaube ist in unserem Inneren noch stärker geworden.
Diesen Winter haben wir auf dem Maïdan ein großes Zelt aufgestellt, das als Kirche diente und in dem wir gemeinsam zum Gebet zusammenkamen. Dies war ein wichtiger Schritt hin zur Einheit der Christen der verschiedenen Konfessionen in der Ukraine. Jeden Morgen haben wir dort, mitten auf dem Maïdan-Platz, um Frieden in unserem Land gebetet.
Frère Alois: Vielen Dank, Olga und Marina. Wir alle werden auch weiterhin an euch denken.
Morgen Nachmittag werden wir Brüder uns zurückziehen und euch hier auf dem Hügel bis zum Abend alleine lassen. Sicher werdet ihr verstehen, dass wir Brüder während des Sommers auch einen Moment brauchen, um ganz einfach für uns alleine zu sein. Aber zum Abendgebet werden wir wieder beisammen sein.
Jetzt wird Margaux, die heute Abend hier vertretenen Länder aufzählen und die Kinder werden Blumen verteilen. Gleichzeitig grüßen wir von hier aus von ganzem Herzen die jungen Afrikaner, die diese Woche in der algerischen Stadt Tlemcen zusammen sind, um genauso wie hier zusammen zu beten und über die Bibel nachzudenken.
Wir haben heute Abend Blumen für die Jugendlichen aus: Korea, Japan, China, Macau, Hongkong, Taiwan, Kambodscha, Vietnam, Indonesien, Bangladesch, Indien, Irak, Palästina, Libanon und Armenien.
... aus: Südafrika, Tansania, Kenia, Uganda, Gabun, Tschad, Benin, Burkina Faso, Togo, Eritrea und Ägypten.
... aus: Russland, Finnland, Schweden und Norwegen.
... aus: Weißrussland, Lettland, Litauen, Polen, Deutschland, Niederlande, Belgien, Großbritannien und Irland.
... aus: der Ukraine, Ungarn, Österreich, Tschechien, Slowenien, der Schweiz und Frankreich.
... aus: Albanien, Rumänien, Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Italien, Spanien und Portugal.
... aus: Neuseeland und Australien.
... aus: Chile, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Puerto Rico, Dominikanische Republik, Haiti, Mexiko, USA, Kanada.
Wir beten heute Abend mit den Gesängen besonders für Frieden und Versöhnung in der Ukraine und im Nahen Osten, und denken dabei auch an die jungen Menschen, die in diesen Tagen in Algerien zusammengekommen sind.