TAIZÉ

Täglichen Gedanken: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit

 

Währende der „Versammlung für eine Neue Solidarität“ gab ein Bruder der Communauté am Ende des Morgengebets jeden Tag eine kurze Bibeleinführung zum Tagesthema. Diese Betrachtungen erscheinen in den kommenden Monaten auch in den „Gedanken zur Bibel“.

Worte von Frère Alois am Donnerstagabend

Montag: Die Freude wagen

Jesus sagte: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie.“
 
(Matthäus 13,44-46)

Wir haben soeben während des Morgengebets im Evangelium zwei Gleichnisse Jesu gehört. Jesus spricht darin vom Himmelreich nicht wie von etwas, das örtlich oder zeitlich sehr weit weg liegt, sondern er kündigt Gott an, der kommt, der bereits heute unter uns ist. „Du bist heilig, du thronst über dem Lobpreis Israels“, heißt es im Psalm 22 (Vers 4). Gott herrscht im Himmel, aber er errichtet seinen Thron und seine Herrschaft auch inmitten seines Volkes, das zu ihm singt.

„Das Himmelreich ist wie ein Schatz, der in einem Acker vergraben war,… wie ein Kaufmann, der schöne Perlen suchte.“ Jesus vergleicht das Kommen Gottes in unser Leben und unsere Welt mit der Freude über eine Entdeckung, der Freude über etwas unvergleichlich Wertvolles, etwas unendlich Schönes.

Ein Mann pflügt einen Acker und stößt dabei auf etwas Hartes. Doch es handelt sich weder um einen großen Stein noch um eine Wurzel. Er muss seine Arbeit unterbrechen und nachsehen, was da liegt: ein Schatz, der Fund seines Lebens! Ein Schatz von unschätzbarem Wert lag all die Jahre in seinem Acker, und niemand wusste davon.

Die Hauptperson des zweiten Gleichnisses ist ein Kaufmann, der schöne Perlen sucht, um sie weiterzuverkaufen. Und wie der Bauer, so macht auch er eines Tages eine völlig unerwartete Entdeckung. Er entdeckt etwas, das seine Erwartungen bei weitem übertrifft: eine Perle von unvergleichlichem Wert, deren Kauf sein ganzes Leben verändern wird.

Das Herz des Bauern schlägt sehr heftig, als er den Schatz findet: er braucht sich von nun an keine Sorgen mehr zu machen. Er ist voll Glück, aber er behält einen kühlen Kopf. Er gräbt den Schatz wieder ein, um sicherzugehen, ihn für sich allein zu haben. Er verkauft seinen ganzen Besitz, um den Acker zu kaufen. Jetzt gehört der Schatz ihm.

Der Perlenhändler ist genauso glücklich, als er die Perle seines Lebens findet, die schöner ist als alles, was er bisher gesehen hatte. Auch er verkauft alles was er hat, um das zu erwerben, was seine Augen und sein Herz so sehr erfreut.

Wie können wir uns dem Reich Gottes öffnen? Wie können wir auf Gott zugehen, wenn er kommt, um unter uns zu herrschen, wenn er in unser Leben und in unsere Welt eintritt? Sein Kommen stellt uns vor eine besondere Entscheidung: Nicht dass wir zwischen Gut und Böse wählen müssten. Der Bauer und der Kaufmann geben nichts Schlechtes auf. Ganz im Gegenteil, sie verkaufen das, was sie besitzen. Sie geben voll Freude ihr Hab und Gut auf, um das unendlich Schöne und unvergleichlich Wertvolle zu erwerben.

Wenn Gott kommt und in unser Leben tritt, stehen wir vor einer Wahl. Jesus möchte, dass wir uns für die Freude entscheiden, für den Schatz, für die wertvolle Perle. Aber die Freude ist mit Entsagungen verbunden; darum geht es in den Gleichnissen Jesu. Die Protagonisten der Gleichnisse haben all ihren Besitz aufgegeben. Sie sind das Wagnis der Freude eingegangen, ihre Freude hat sie dazu gebracht, all ihren Besitz zu verkaufen.

Christus möchte, dass uns die Freude Gottes wichtiger ist als unser Besitz, unsere Errungenschaften und Pläne. Es kann sogar passieren, dass wir die Freude wichtiger nehmen müssen als uns selbst. Die Freude bedeutet, sich selbst zu vergessen.

Die Geschichten vom Bauern und vom Kaufmann, die beide voll Freude auf ihren Besitz verzichten, zeigen, wie die Freude befreit.

  • Welchen Schatz oder welche Perle habe ich seit meiner Ankunft in Taizé gefunden? Was hat mich überrascht? Worüber freue ich mich?
  • Wann war ich schon einmal glücklich, weil ich auf etwas verzichtet habe? Wann hat mich die Freude schon einmal freier gemacht?

Dienstag: Trauer, die sich in Freude verwandelt

Jesus erkannte, dass sie ihn fragen wollten, und sagte zu ihnen: „Ihr macht euch Gedanken darüber, dass ich euch gesagt habe: ‚Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen.‘ Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln. Wenn die Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über der Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. So seid auch ihr jetzt bekümmert, aber ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen und niemand nimmt euch eure Freude.“
 
(Johannes 16,19-22)

Für die Freunde Jesu war die gemeinsame Zeit mit ihm ein Fest. Dies war auch die Absicht Jesu, der ihnen am Anfang einmal gesagt hat: „Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist?“ (Matthäus 9,15) In den Städten und Dörfern Galiläas war die Begegnung mit Jesus überall ein Fest.

Aber Jesus hatte von Anfang an auch sehr rätselhafte und unvorstellbare Worte gesprochen: „Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein“. Dann hat das Fest ein Ende. Und am Vorabend seines Todes sagte Jesus ganz offen: „Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr.“ Diese Worte haben wir soeben im Gebet gelesen. Jesus wusste, dass er sterben würde. Und er wusste auch, dass dies für seine Freunde sehr hart sein würde. „Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen.“

Aber diese Trauer hat nicht das letzte Wort. „Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen.“ Durch seinen Tod hat Jesus seine Jünger verlassen. Aber er ist aus dem Tod zurückgekommen; seine Freunde sind ihm begegnet, als Erste Maria Magdalena, dann Petrus und Johannes und viele andere.

Die Freude der Christen ist eine Osterfreude. Leid und Tod können sie nicht auslöschen, genauso wenig die Abwesenheit des Geliebten, die Abwesenheit Gottes. Jesus sagte: „Ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln.“

Die Freude der Christen ist eine Osterfreude. Sie ist nicht das Gegenteil von Trauer. Die Osterfreude ist mitten in unserem Kummer und unserer Traurigkeit da, und verändert sie von innen heraus. „Euer Kummer wird sich in Freude verwandeln.“ Der Kummer und die Traurigkeit weichen nicht der Freude, sondern werden in Freude verwandelt. Man kann nicht einmal sagen, dass sie immer in Freude verwandelt werden, sondern dass sie von der Freude durchdrungen und erhellt werden.

Trauer und Freude können nebeneinander bestehen, so wie hier auf dem Hügel von Taizé im Herbst oft Nebel und Licht ineinander übergehen.

Paulus sagt uns: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ (Römer 12,15) Was tun, wenn wir Fröhlichen und Weinenden gleichzeitig gegenüberstehen? Wir müssen also gleichzeitig singen und weinen.

Es gibt eine „fröhliche Trauer“. Es gibt eine triumphale Freude, die die Weinenden nur noch trauriger macht. Die Osterfreude ist weit genug, um Trauer und Leid in sich aufzunehmen. Sie weint und freut sich zugleich. Sie bringt das Lachen auf das Gesicht des Unglücklichen zurück.

Wie ein Kind kommt die Osterfreude unter Schmerzen zur Welt. Jesus sagte: „Wenn eine Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde (des Leidens) da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not, sondern freut sich, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ Über diese Freude, die im Leiden geboren wird, sagt Jesus: „Und niemand nimmt euch eure Freude.“

In der „Regel von Taizé“ hat Frère Roger vor vielen Jahren geschrieben: „Scheue dich nicht, an den Nöten eines anderen Anteil zu nehmen. Hab keine Angst vor dem Leiden; oft wird uns gerade in der Tiefe eines Abgrunds die vollkommene Freude in der Gemeinschaft mit Jesus Christus geschenkt.“

  • Wie kann die Freude zu einer neuen Solidarität beitragen? Wie können wir uns mit den Fröhlichen freuen und mit den Weinenden weinen?
  • Wie können wir uns gegenseitig helfen, damit die Freude selbst inmitten des Schmerzes immer wieder aufkommt?

Mittwoch: Eine Einfachheit, die das Herz öffnet

Jesus kam nach Jericho und ging durch die Stadt. Dort wohnte ein Mann namens Zachäus; er war der oberste Zollpächter und war sehr reich. Er wollte gern sehen, wer dieser Jesus sei, doch die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht, denn er war klein. Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste. Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Da stieg Zachäus schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. Als die Leute das sahen, empörten sie sich und sagten: „Er ist bei einem Sünder eingekehrt.“ Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: „Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“
 
(Lukas 19,1-10)

Freude, Einfachheit und Barmherzigkeit sind Begriffe, die für Frère Roger das ganze Leben lang eine große Rolle spielten. Er hatte den Eindruck, sie könnten uns dem Herzen des Evangeliums näherbringen, dem Wesen Gottes. Wir haben die letzten zwei Tage über die Freude nachgedacht, heute machen wir mit der Einfachheit weiter. Wie kann die Einfachheit uns helfen, der Wirklichkeit näherzukommen?

Betrachten wir zunächst den Text des Evangeliums von heute Morgen. Er beginnt mit der ganz banalen Feststellung, dass Jesus durch Jericho kam, wo ein gewisser Zachäus, einer der obersten Zollbeamten (Steuereintreiber), der sehr reich war, wohnte. Diese Menschen arbeiteten mit der römischen Besatzungsmacht zusammen und waren von der Bevölkerung als „Kollaborateure“ verachtet. Die Tatsache, dass er reich war, lässt vermuten, dass er korrupt war. Der Bericht geht jedoch nicht darauf ein. Er gibt wieder – ohne viele Einzelheiten zu nennen –, was geschah. Das Folgende wird sehr menschlich, fast berührend, geschildert. Wir sollen hinter die Fassade blicken und nicht bei unserem ersten Eindruck stehenbleiben.

Zachäus möchte Jesus unbedingt sehen, aber die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. So läuft er den anderen voraus und klettert, wie ein kleines Kind, auf einen Baum, um Jesus im Vorübergehen zu sehen. Als Jesus vorbeikommt, bleibt er stehen und ruft Zachäus bei seinem Namen: „Zachäus, komm schnell herunter! Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Vielleicht hatte Jesus beim Näherkommen jemanden gefragt, wer dieser Mann auf dem Baum sei. Der Anblick des Zachäus auf dem Baum und wie er vor freudestrahlend wieder heruntersteigt, dürfte auf jeden Fall sehr lustig gewesen sein.

Allmählich entsteht in uns das Bild eines Menschen, das uns betroffen macht. Natürlich hat Zachäus Jesus nicht nur aus der Ferne sehen wollen. Und dieser reagiert ganz selbstverständlich mit der Bitte, bei Zachäus wohnen zu dürfen. Diese Gestalt scheint ihn interessiert zu haben, sodass er ihn tatsächlich näher kennenlernen wollte.

Doch die Leute beginnen zu murren: „Er ist bei einem Sünder eingekehrt!“ Als oberster Zollbeamter wurde Zachäus von den Leuten gemieden. Er saß in der Zwickmühle zwischen der kaiserlichen Besatzungsmacht und der unterdrückten Bevölkerung, er lebte von Korruption: eine ausweglose Situation. Überraschend und mit ganz einfachen Worten stellt Jesus sich neben ihn. Da beginnen die Leute zu murren, denn Jesus hat etwas getan, was niemand sonst getan hätte.

Wir können nicht genau sagen, wann es passiert ist, aber Zachäus hat sich verändert. So wie Jesus findet er auf einmal Worte und Gesten, um die Beziehung zu seinen Mitmenschen wiederherzustellen. Er sagt: „Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.“ Zachäus nimmt also nicht nur Jesus bei sich auf, sondern kurz danach auch viele andere. Jesus hat das Herz und das Haus des Zachäus geöffnet, er hat den Menschen einen Zugang zu ihm geschaffen.

„Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden“ sagt Jesus, „weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist.“ Hat die Menge ihn verstanden? Verstehen wir ihn? Zachäus ist unser Bruder.

  • Was hilft uns, hinter die äußere Erscheinung zu sehen und nicht beim ersten Eindruck stehenzubleiben, sondern auf Menschen zuzugehen, die anders sind? Hilft mir die Unkompliziertheit Jesu?
  • Was drängt mich, das, was ich habe, mit anderen zu teilen? Was ändert sich, wenn ich in den anderen „Brüder“ und „Schwestern“ erkenne?

Donnerstag: Die Einfachheit des Jüngeren und des Dienenden

Es entstand unter ihnen ein Streit darüber, wer von ihnen wohl der Größte sei. Da sagte Jesus: „Die Könige herrschen über ihre Völker und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste und der Führende soll werden wie der Dienende. Welcher von beiden ist größer: wer bei Tisch sitzt oder wer bedient? Natürlich der, der bei Tisch sitzt. Ich aber bin unter euch wie der, der bedient.“
 
(Lukas 22,24-27)

Auch heute Morgen geht es um die Einfachheit. Vielleicht kann uns der im Gebet gelesene Evangeliumstext zu einem tieferen Verständnis helfen. Es wird darin berichtet, wie unter den Jüngern Jesu ein Streit ausbricht. Es ist tröstlich zu hören, dass auch die Jünger Jesu ganz normale Menschen sind! Nach dem Evangelisten Lukas kommt es zu dieser Auseinandersetzung in einem für Jesus sehr kritischen Moment: während des letzten gemeinsamen Essens mit seinen Jüngern, kurz vor seiner Verhaftung und Hinrichtung. In diesem Moment beginnen sie einen Streit, wer der Größte unter ihnen sei!

Die Jünger durchleben schwere Stunden. Ihre Angst vor dem, was kommen wird, die Ungewissheit, wie es mit Jesus und mit ihnen weitergehen wird, all das muss für sie an die Grenze des Erträglichen gegangen sein. Was soll aus ihnen werden, wenn Jesus ihnen genommen wird? Wer soll ihre Führung übernehmen? Man kann verstehen, dass sie in dieser Situation darüber diskutieren, wer von ihnen der Größte sei.

Anstatt sie zu tadeln, stellt Jesus ihnen ein Bild vor Augen: „Die Könige herrschen über ihre Völker und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen.“ Das autoritäre Auftreten der Machthaber und die ritualisierte Ehrerweisung, die sie von ihren Untergebenen fordern, machte ihnen das Leben unter der römischen Oberherrschaft schwer. Da kann es erstaunen, dass Jesus ein solches Bild gebraucht; aber es ist sicher auch heilsam. Es ist, als würde Jesus seinen Jüngern einen Spiegel vorhalten, um ihnen zu zeigen, dass ihre Angst und Unsicherheit sie in die falsche Richtung führt.

„Bei euch aber soll es nicht so sein“, fährt Jesus fort, „sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste und der Führende soll werden wie der Dienende.“

Zur Zeit Jesu kümmerte sich der Jüngste oder ein Diener um die Belange im Haus; dieser musste die Feldarbeit verrichten, die Familie ernähren oder sich um alte und kranke Personen im Haus kümmern. Und obwohl sie ganz unten auf der sozialen Leiter standen, hing von ihnen das Wohlergehen aller im Haus ab. Waren sie fähig, schätzte man sie, aber in erster Linie erwartete man von ihnen, dass sie treu seien.

Wenn Jesus die Jünger auffordert, wie die Jüngsten und die Dienenden zu sein, verlangt er von ihnen, ihren Platz treu auszufüllen und sich ihrer Verantwortung innerhalb der Familie Gottes nicht zu entziehen. Sie sollen nicht auf ihre Angst hören, aber auch nicht alles selbst in Ordnung bringen wollen. Jesus ist bei ihnen und wird sie – auch wenn er sich für einige Zeit ihren Blick entzieht – nicht verlassen. Es ist an der Zeit, Gott zu vertrauen.

„Ich bin unter euch wie der, der bedient“, sagt Jesus. Im Evangelium sagt er nicht viel darüber, wie wir handeln sollen; er möchte vielmehr, dass wir uns tief in uns von der Bewegung seines eigenen Lebens ergreifen lassen. Dies ist der Weg einer entwaffnenden Einfachheit, ein Weg, auf dem uns die überströmende Liebe Gottes begegnet und uns erfüllt.

  • Wie kann uns unsere Angst und unsere Unsicherheit in die falsche Richtung führen? Was bringt uns zum Vertrauen auf Gott zurück?
  • Wie spricht mich diese entwaffnend Einfachheit Jesu an? Welche Verantwortung trage ich in der Familie Gottes?

Freitag: Der Gott der Barmherzigkeit

Sucht den Herrn, solange er sich finden lässt, ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Ruchlose soll seinen Weg verlassen, der Frevler seine Pläne. Er kehre um zum Herrn, damit er Erbarmen hat mit ihm, und zu unserem Gott; denn er ist groß im Verzeihen. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege - Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.
(Jesaja 55,6-9)

Für viele Menschen ist der Gott, dem wir im Alten Testament begegnen, ein strenger und erbarmungsloser Richter, der die Menschen für jede kleine Übertretung seiner Gebote bestraft. Deshalb unterscheiden viele Menschen zwischen diesem Gott und dem Gott, den Jesus uns geoffenbart hat: einem barmherzigen Vater, der sich um uns kümmert und der uns immer seine Liebe und seine Zuneigung schenkt.

Wer die Bibel liest und darüber meditiert, wird feststellen, dass dieser Gegensatz falsch ist. Der Gott, der sich dem Volk Israel zu erkennen gegeben hat, ist derselbe, von dem Jesus spricht und den er durch seine Taten bezeugt. Worum es in dieser Beziehung mit Gott geht, kommt am besten im Bericht vom Exodus zum Ausdruck, in dem beschrieben wird, wie Gott in das Leben einer Gruppe von Sklaven tritt, die fern ihrer Heimat leben. Er befreit sie aus ihrer Unterdrückung und führt sie in ein fruchtbares Land, in dem sie in Freiheit leben können. Es wird ein Gott beschrieben, der den Schrei der Armen hört, der will, dass die Menschen die Fülle des Lebens haben, dass sie das Glück finden, also ein Gott, der stets etwas Neues vollbringt, um die Fesseln zu zerbrechen, die uns gefangen halten. Mit einem Wort: ein Gott der zärtlichen Zuneigung und Barmherzigkeit.

Im Text, über den wir heute nachdenken, erklärt einer der Propheten, dass Gott sich gerade darin von den Menschen unterscheidet. Menschen lehnen besonders dann andere ab, wenn sie sich selbst abgelehnt fühlen. Es fällt uns schwer, denen zu vergeben, die uns verletzt haben. Aber der Prophet macht deutlich, dass Gott nicht denkt wie wir. Den, der seine Fehler bekennt und zu Gott zurückkehrt, nimmt Gott immer wieder auf. Wir können unsere Beziehung mit Gott immer wieder neu beginnen. Dies ist es, was wir als Vergebung bezeichnen.

Gott handelt so, weil sein Verhalten nicht vorherbestimmt ist, durch nichts bedingt, schon gar nicht durch das Verhalten seines Gegenübers. Gott ist die Quelle des Lebens; er trägt die Kraft der Liebe in sich selbst, um dem Bösen mit Gutem zu begegnen. Die christlichen Denker der ersten Jahrhunderte haben dies verstanden, aber mit einem sehr schwer verständlichen Ausdruck beschrieben: Sie sagten, Gott sei durch nichts zu erschüttern.

Dies kann nicht bedeuten, Gott stünde dem menschlichen Schmerz gleichgültig gegenüber, ihm würde das Leiden seiner Schöpfung nichts ausmachen; dies würde nicht den Gott beschreiben, den wir aus der Bibel kennen. Es wäre sogar eine große Gotteslästerung. In Wirklichkeit besagt diese etwas eigenartige Formulierung, wie sehr Gott jenseits des menschlichen Denkens und Handelns ist. Sie möchte uns zeigen, dass Gott – was immer wir auch tun – uns niemals weniger liebt. Wir hingegen werden von der Antwort anderer beeinflusst, unsere guten Vorsätze schmelzen wie Eis in der Sonne, wenn wir ausgenutzt oder abgelehnt werden; Gott ist sich selbst treu. Gott ist auf immer ein barmherziger Gott. Gott liebt auch dann, wenn seine Liebe auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung stößt. Frère Roger sagte oft: „Gott kann nur lieben.“

Diese Treue Gottes zu allem, was ist, ist eine Quelle großen Trostes: Es gibt einen Felsen, der uns in jeder Lage Halt gibt. In einer Welt, in der alles in Bewegung zu sein scheint und in der wir nicht mit Sicherheit wissen, wo wir Glück und Sinn finden, gibt es Jemanden, an den wir uns wenden können, und von dem wir wissen, dass er uns mit Freude empfängt. Auch der Vater im Gleichnis des verlorenen Sohnes (Lukas 15,11ff) läuft seinem Sohn entgegen, fällt ihm um den Hals, obwohl dieser sein ganzes Erbteil verschleudert hat. Die Einstellung des Vaters ändert sich auch nicht angesichts der Verirrung seines Sohnes. Er sieht in ihm nur sein geliebtes Kind, „das tot war und wieder lebt“.

Wo begegnen wir diesem unabänderlich barmherzigen Gott? Jesus sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ (Matthäus 11,28) Jesus offenbart uns in Fülle den Gott, der niemals aufhört, Gutes zu tun, der immer demjenigen einen Neuanfang ermöglicht, der sich an ihn wendet.

  • Was ändert sich in meinem Leben, wenn ich begreife, dass Gott stets aufs Neue mit Liebe und Freude auf mich zukommt?
  • Was bedeutet es für mich konkret, „mich Gott zuzuwenden“ bzw. „ihn anzurufen“; wie und wo kann ich ihn finden?

Samstag: Barmherzig sein wie Gott

Jesus sagte: „Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln. Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen. Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“
(Lukas 6,27-36)

In diesem Text beschreibt Jesus zwei mögliche Handlungsweisen. Die eine ist das Verhalten eines „Sünders“, also eines Menschen, der nicht tut, worum Gott in bittet. Heute würde man sagen, der Betreffende verhält sich „normal“, das heißt, er tut denen Gutes, die ihm Gutes tun, er gibt denen etwas, die es ihm zurückgeben.

Die Menschen neigen seit jeher dazu, alle Menschen in zwei Gruppen einzuteilen: diejenigen, die zu uns gehören, und die anderen, die anders sind und somit unsere Gegner. Natürlich kann man es niemandem verdenken, sich dem Einen näher zu fühlen als einem anderen. Wir haben aus verschiedenen Gründen mit bestimmten Personen mehr gemeinsam als mit anderen. Aber wenn dies dazu führt, den anderen gleichgültig gegenüber zu stehen, sie zu kritisieren, sie abzulehnen oder ihnen sogar Böses zu tun, dann wird diese Haltung zum Anlass von Spaltung und sogar von Krieg.

Jesus stellt diesem Verhalten ein anderes entgegen: das Handeln Gottes, der „auch gegen die Undankbaren und Bösen gütig ist“. Gestern war davon die Rede, dass die Wege Gottes nicht unsere Wege sind, weil Gott sich nicht von der Reaktion seines Gegenübers beeinflussen lässt. Gott ist „durch nichts zu erschüttern“; mit anderen Worten: Gott kann nur lieben.

Das Neue in der Botschaft Jesu ist nicht die Tatsache, dass Gott barmherzig ist. Auch der Verfasser des 55. Kapitels des Buches des Propheten Jesaja wusste dies bereits. Diesen Gedanken findet man bereits mehrere Jahrhunderte vor Christus im Alten Testament. Neu ist, dass auch wir Menschen barmherzig sein können – so wie Gott!

Jesus möchte, dass wir als Abbild Gottes leben, dass wir fähig sind, unsere Feinde zu lieben, denen Gutes zu tun, die uns Böses tun, zu geben, ohne etwas zurückzuerwarten. Wie können wir so handeln? Können wir Menschen wirklich wie Gott handeln? Wo können wir den Antrieb und die Kraft dafür finden?

Mit Sicherheit können wir dies nicht aus eigener Kraft oder aus eigenem Willen tun. Gott kann geben, ohne zu nehmen; Gott ist die Quelle des Lebens – wir nicht. Wir müssen, um geben zu können, zunächst einmal selbst empfangen. Darin besteht das Neue im Evangelium: Indem der Sohn Gottes als Mensch auf die Erde kam, hat er den Heiligen Geist Gottes, die Person gewordene Kraft seiner Liebe bis tief in das Wesen des Menschen gelegt. Durch die Kraft des Geistes konnte Jesus Kranke heilen und Sünden vergeben. Er konnte sogar sein Leben für uns am Kreuz hingeben und selbst denen vergeben, die ihn misshandelt und getötet haben. Nach seiner Auferstehung hat er diesen Geist seinen Jüngern weitergegeben.

Als Jünger Jesu gehören wir zur Gemeinschaft der Glaubenden, die aus dem Geist Gottes leben. Das Beeindruckende an den ersten Christen war, dass sie – so verschieden sie voneinander waren – als Brüder und Schwestern zusammenlebten, ihren Besitz und ihre geistlichen Güter miteinander teilten, und einander vergaben. Sie haben keinen Unterschied gemacht zwischen denen, die dazu gehören, und den anderen, sondern haben alle Menschen aufgenommen. Sie sind auf die anderen zugegangen und haben versucht, eine universelle Solidarität zu leben. Natürlich unterschied sich ihr Leben von dem der „normalen“ Menschen. Aber gerade das hat viele angezogen.

Dieser Geist, der Jesus und die ersten Christen geleitet hat, ist auch uns heute angeboten. Ja, es ist möglich, ein Leben nach dem Bild Gottes zu führen. Wir können Barmherzigkeit üben, so wie unser Vater barmherzig ist. Aber wir können dies nur in Gemeinschaft tun, indem wir uns gegenseitig unterstützen, und wenn wir unser Herz im Gebet Gott öffnen, sodass er unser Denken und Handeln allmählich verändern kann. So wird das Unmögliche möglich.

  • Ist das, was Jesus beschreibt, eine Utopie, oder kenne ich selbst Frauen und Männer, die nach dem Vorbild Gottes leben und vorbehaltlos lieben? Wann? Wo? Wie?
  • Was müssen wir tun, damit unsere Kirchen und Gemeinschaften Orte einer weltumspannenden Solidarität werden, an denen die Spaltungen der Gesellschaft Heilung finden?

Letzte Aktualisierung: 26. August 2015