TAIZÉ

Worte von Frère Alois

Sein Leben einsetzen

 
Donnerstag, 20. August 2015

Dieses Jahr ist, wie alle wissen, ein besonderes Jahr für uns hier in Taizé. Einige von euch waren bereits am vergangenen Sonntag hier und konnten an dem gemeinsamen Gebet teilnehmen, das im Andenken an Frère Roger am 16. August stattfand, dem 10. Jahrestag seines Todes.

Heute, am 20. August, sind es genau 75 Jahre her, dass Frère Roger zum ersten Mal in dieses kleine Dorf Taizé kam. Er war auf der Suche nach einem Haus, in dem eine Gemeinschaft von Männern leben konnte. Es herrschte Krieg, es fuhren kaum Züge, deshalb war er mit dem Fahrrad unterwegs.

Es war Erntezeit und die Männer im Dorf waren auf dem Feld. So machte ihm eine alte Frau etwas zum Mittagessen. Als sie hörte, dass er ein Haus suchte, sagte sie: „Bleiben Sie hier, wir sind hier so alleine.“ Frère Roger hörte auf die Worte dieser armen Frau, und so hat alles angefangen.


Wir sind nicht die Einzigen, die an dieses Ereignis am 20. August vor 75 Jahren denken: Wir haben mit Erstaunen erfahren, dass Papst Franziskus gestern Vormittag in Rom bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz davon sprach.

Der Papst sagte: „Morgen feiert die Communauté von Taizé ihr 75-jähriges Bestehen. Ich grüße die Mönche der Communauté, und bete für sie, im Andenken an ihren hochgeschätzten Gründer, Frère Roger, an dessen 10. Todestag wir vor drei Tagen gedacht haben. Machen Sie so weiter!“

Bei dieser Gelegenheit ein Wort: Beten wir für Papst Franziskus! Er schenkt so vielen Menschen Hoffnung.

Während des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1940, wollte Frère Roger durch das Leben einer Gemeinschaft einiger Männer ein kleines Zeichen des Friedens und der Versöhnung schaffen, inmitten von Europa, das von Gewalt zerrissen war. Die Berufung der Communauté bestand für ihn bereits damals darin, ein „Gleichnis des gemeinsamen Lebens“, ein „Gleichnis der Gemeinschaft“ zu sein.


Nacheinander haben sich ihm weitere Brüder angeschlossen. Dies setzt sich fort, und übermorgen, am Samstagabend, wird unser Bruder, Frère Philip, Christus Ja sagen zu einem lebenslangen Engagement in der Communauté.

Unser Bruder Philipp will gemeinsam mit seinen Brüdern dieses „Gleichnis der Gemeinschaft“ verwirklichen. Er will ein sichtbares Zeichen dafür setzen, dass Jesus durch sein Leben auf der Erde eine neue Menschheit hat entstehen lassen, in der nicht mehr Rivalität und Gewalt herrschen, sondern der Frieden Gottes.

Wir möchten dieses Zeichen in aller Einfachheit durch unser Leben verwirklichen, ohne unsere Schwächen zu verleugnen oder uns für besser zu halten als andere. Aber es ist eine große Freude, im Vertrauen auf Christus sein ganzes Leben einzusetzen. Es liegt eine große Freude darin, durch ein gemeinsames Leben zum Ausdruck zu bringen, dass Christus eine neue Solidarität unter allen Menschen geschaffen hat.

Für uns Brüder ist es ein Grund zur Freude, dass wir aus verschiedenen Ländern und Kontinenten kommen und auf diese Weise auch ein kleines Zeichen der Einheit der Menschheitsfamilie sind. Genauso erlebt auch ihr die Freude, eine Woche lang eine weltumspannende Gemeinschaft im Kleinen zu leben.

Ein lebenslanges Versprechen abzulegen, wie es unser Bruder Philipp am Samstag tun wird, bedeutet, sich auf einen engen und nicht immer leichten Weg zu begeben. Wir können diesen Weg gehen, wenn wir uns nicht auf unsere eigene Kraft verlassen, sondern auf die Gegenwart des Heiligen Geistes.

Natürlich sind nicht alle dazu berufen, den gleichen Weg wie Frère Philip zu gehen. Gott möchte, dass jede und jeder von euch durch die Hingabe seiner selbst sein Leben einsetzt.

In diesen Wochen denken wir hier in Taizé daran, dass das Elend auf der Welt zunimmt: Migration, Umweltkatastrophen, Massenarbeitslosigkeit, Gewalt. Diese Situation verlangt nach einer neuen Solidarität.

Jeder kann sich die Frage stellen: Werde ich mithelfen, neue Formen der Solidarität zu entwickeln? Bin ich bereit, nicht länger zu warten und in meiner eigenen Umgebung anzufangen? Es entstehen immer mehr örtliche Initiativen des Miteinanderteilens, wie zum Beispiel mit Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten. Die Migration wird unserer Gesellschaft ein neues Gesicht verleihen.

Die Begegnung mit anderen Kulturen macht manchen Menschen Angst. Aber ich habe in diesem Sommer schon mehrmals gesagt, dass viel mehr Menschen in der Globalisierung eine Chance sehen, eine weltumfassende Geschwisterlichkeit aufzubauen. Aus diesem Grund stellt sich folgende Frage: Ist nicht eine übernationale Instanz unbedingt notwendig? Eine Autorität, die auf der ganzen Welt anerkannt wird und die Regeln aufstellt, um eine größere Gerechtigkeit zu garantieren und den Frieden zu erhalten?


Der kurze Text „Taizé 2015“, den ihr bei der Ankunft erhalten habt, spricht davon, wie wir die nächsten drei Jahre hier weitermachen. Wir lassen uns von den drei Worten leiten, in denen Frère Roger den Geist der Seligpreisungen zusammengefasst hat: Freude, Einfachheit und Barmherzigkeit.

Im kommenden Jahr werden wir mit dem Wort „Barmherzigkeit“ beginnen. Wir werden uns gemeinsam die Frage stellen, wie die Barmherzigkeit Gottes, die bedingungslose Liebe Gottes, die Quelle menschlicher Barmherzigkeit ist, die Quelle neuer Formen der Solidarität, die jeder Einzelne in seinem täglichen Leben verwirklichen kann.

Seit heute sind zwischen der Kirche und dem Glockenturm Porträtaufnahmen Jugendlicher aus der ganzen Welt zu sehen. Sie wurden von Jugendlichen zusammengestellt und zeigen, wie diese sich eine Neue Solidarität vorstellen.

Doch jetzt möchte ich Irina aus Indien zu Wort kommen lassen, die für drei Monate als Freiwillige auf dem Hügel hier mitlebt. Aber zuerst grüße ich die jungen Afrikaner in Tlemcen in Algerien. Seit zehn Jahren bereiten Jugendliche dort jeden Sommer zwei Wochentreffen mit denselben Themen wie hier in Taizé vor. Wir fühlen uns diesen jungen Afrikanern sehr nahe.

Ich heiße Irina und komme aus Assam in Indien. Ich gehöre zum Stamm der Boro. Wir leben von der Landwirtschaft und haben kaum Zugang zu Schulbildung. Die meisten Mitglieder meines Stammes sind alkoholkrank und kümmern sich nicht um die Ausbildung ihrer Kinder, besonders die Mädchen. Mein Vater war auch alkoholkrank, so half mir meine Mutter bis heute in allen Dingen des Lebens.
 
Ich bin das erste Mädchen meines Dorfes – und ich danke Gott dafür –, die einen Schulabschluss gemacht hat. Mir blieb im Leben nichts erspart. Aber die Härte des Lebens der Menschen um mich herum war ein enormer Ansporn, mein Studium zu beenden.
 
Mittlerweile studiere ich Theologie. Ich möchte Gott und meinem Volk dienen, damit vor allem die Frauen in meinem Dorf ein besseres Leben haben. Und ich möchte alles tun, damit die Jugendlichen zum Glauben und zum Vertrauen auf Gott zurückfinden.
 
Durch meine Erfahrung in Taizé kann ich die Jugend besser verstehen und ich weiß nun besser, mit ihnen umzugehen. Dies hat mich in meiner Lebensentscheidung gestärkt. Danke Taizé!

Photo © Wiesia Klemens

Letzte Aktualisierung: 18. September 2015