Ein sehr schöner Sommer liegt hinter uns. Vorgestern Abend haben sich ein paar junge Leute aus dem Libanon verabschiedet, und ich fragte mich: Ist ihnen bewusst, wie viel uns ihr dreimonatiger Aufenthalt bei uns bedeutet? Sie bringen uns die Menschen im Nahen Osten nah, und deren Sehnsucht nach Frieden.
Noch immer sind auch junge arabische Christen hier. Wir singen mit ihnen auf Arabisch das Lied „Ubi caritas … Wo die Liebe ist, da ist Gott.“ Viele junge Menschen entdecken durch dieses Lied, dass Christen und Muslime auf Arabisch Gott „Allah“ nennen.
Gestern Abend sind zwei junge Muslime aus dem Libanon, Ali und Mohamad, nach einem Monat wieder abgefahren. Sie waren von einer Gruppe im Libanon geschickt worden, die sich dort um eine Annäherung zwischen Muslimen und Christen bemühen. Es war sehr schön, sie bei uns zu haben!
Wir möchten den jungen arabischen Christen noch näher sein. Ende September fahren einige von uns Brüdern zusammen mit einhundert Jugendlichen aus Europa und dem Nahen Osten nach Ägypten, um ein paar Tage mit einhundert jungen Ägyptern gemeinsam zu verbringen und zusammen zu beten. Gleich wird Roy, ein libanesischer Katholik, zu uns sprechen und ein arabisches Lied singen. Michel, ein anderer Libanese, und Youssef, ein orthodoxer Kopte aus Ägypten, werden ihn begleiten.
Während des ganzen Sommers haben die Jugendlichen genau wie ihr an den Bibeleinführungen teilgenommen, die einige meiner Brüder gehalten haben. Warum spielen diese Einführungen für uns eine so große Rolle?
Es ist sehr wichtig, sich immer wieder die Frage zu stellen: Aus welcher Quelle lebe ich? Aus welcher Quelle schöpfe ich den Sinn meines Lebens? Um an die wichtigste Quelle zu gehen, d.h. um die Türen seines Herzens für die Gegenwart Gottes zu öffnen, ist die Bibel von unschätzbarem Wert.
Es ist nicht immer leicht, die Bibel zu lesen, das stimmt! Manche Texte verstehen wir nicht. Da geht es uns Brüdern genauso. Beim Lesen können uns allerdings zwei Dinge den Zugang erleichtern, die ich hier nennen möchte.
Als erstes kommt es darauf an, sich bewusst zu machen, was im Mittelpunkt der Bibel steht, nämlich die Liebe Gottes und die Nächstenliebe. Die Bibel ist die Geschichte der Treue Gottes: von der „ersten Liebe“ über das Auftreten von Schwierigkeiten bis hin zur Untreue der Menschen. Gott wird nicht müde, uns zu lieben: Er sucht sein Volk, er sucht jeden Einzelnen von uns.
Die Bibel ist die Geschichte von der Treue Gottes, wie sie einer der Propheten mit eindrucksvollen Worten beschreibt. Gott sagte zu jedem von uns: „Kann denn eine Frau ihr kleines Kind vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: Ich vergesse dich nicht!“ (Jesaja 49,15)
Der zweite Zugang zur Bibel ist folgender: Das Evangelium sagt uns, dass Christus das Wort Gottes ist, und wenn wir die Schrift lesen, begegnen wir ihm. Wir hören seine Stimme und können in eine persönliche Beziehung mit ihm treten.
Auch wenn wir nur wenig vom Evangelium verstehen, können wir von einem Wort ausgehen, das vielleicht plötzlich für uns wichtig wird.
Wenn ihr am Ende dieser Woche wieder nach Hause fahrt und nur ein einziges Wort behalten habt, so könnt ihr es immer besser verstehen, wenn ihr es in die Tat umsetzt. Von da aus werden euch dann weitere Worte des Evangeliums aufgehen.
Morgen werden wir in einem besonderen Anliegen beten: Vor zwei Jahren hat Papst Franziskus den sogenannten „Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung“ eingeführt, der seither jedes Jahr am 1. September begangen wird.
Mit dieser Initiative in der Katholischen Kirche hat der Papst auf einen Vorschlag des Orthodoxen Patriarchen Bartholomäus reagiert, denn in der Orthodoxen Kirche gab es diesen Weltgebetstag bereits. So haben der Papst und der Patriarch einmütig und in Verbundenheit mit ähnlichen Initiativen des Weltkirchenrats alle Gläubigen und darüber hinaus alle Menschen aufgerufen, Hüter der Schöpfung zu sein.
Morgen loben wir Gott für die Schönheit der Erde, die ihm gehört und die wir Menschen wie ein Geschenk annehmen sollen, als unser gemeinsames Zuhause. Wir werden dabei an die enorme Verantwortung der Menschheit denken, für unseren Planeten Sorge zu tragen und die Ressourcen nicht zu verschwenden. Jeder kann sich fragen, was dies für ihn im Alltag bedeutet.
Roy: Guten Abend, ich heiße Roy und komme aus Beirut, im Libanon. Ich studiere Volkswirtschaft an der Universität „Saint Joseph“ in Beirut. Seit fast zwei Monaten bin ich nun mit anderen Jugendlichen aus dem Nahen Osten hier in Taizé. Ich habe in dieser wunderbaren Gemeinschaft hier die beste Zeit meines Lebens verbracht.Ich gehöre zur Melkitisch-Katholischen Kirche, die aus der Griechisch-Orthodoxen Kirche hervorgegangen ist. Hier in Taizé konnte ich anderen etwas von der großen Schönheit unserer liturgischen Gesänge weitergeben. Deshalb möchten wir jetzt zu dritt mit einem Gesang aus der byzantinischen Liturgie mit euch beten. Das Lied ist der Jungfrau Maria gewidmet und stammt von einem Heiligen, der auf dem Berg Athos gelebt hat.
Photo: Cédric Nisi