Gestern Abend haben wir vor dem Kreuz gebetet. Warum wurde Jesus, der niemandem etwas getan hatte, so grausam hingerichtet? Nichts kann auf diese Frage wirklich eine Antwort geben. Und auch in der ganzen Geschichte der Menschheit gibt es so viele unschuldige Opfer menschlicher Gewalt!
Jesus hat bis zum Schluss geliebt und niemanden verurteilt. Und wir glauben, dass er von den Toten auferstanden ist. Niemand kann die Auferstehung Jesu beschreiben oder sie sich vorstellen. Wir können nur sagen, dass er durch seine Liebe den Hass besiegt hat, und dass der Tod nicht das letzte Wort hatte. Jesus lebt und begleitet jeden Menschen auf geheimnisvolle Weise.
Ich muss immer noch an das Jugendtreffen, das wir Ende März im Libanon hatten, denken. Die jungen Teilnehmer kamen aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und aus Europa, darunter 90 Jugendliche aus Syrien, aus den Städten Aleppo, Homs und Damaskus. Eine junge Frau sagte mir mit Tränen in den Augen: „Es gibt so viele verlassene Kinder bei uns, die nicht genug zu essen und als Kleidung nur eine Decke haben – betet für sie!“
Ich gebe euch ihre Bitte weiter. Ich sah in dieser jungen Frau einen tiefen Glauben, der keine leichte Erklärung für das Leiden hat, aber der auch nicht aufgibt. Ein Glaube, durch den sie das Leiden dieser Kinder spüren und ihnen so gut wie möglich beistehen kann.
Heute feiern wir Karsamstag. Es ist der Tag des Schweigens Gottes. Warum hat Gott nicht sofort auf den Schrei Jesu am Kreuz reagiert und ihn noch am Tag seines Todes auferweckt? Jesus musste wie viele Menschen dieses Schweigen Gottes erfahren, um in allem mit uns in Solidarität zu sein.
Es ist erstaunlich und sehr tiefgründig, dass die Liturgie uns einen Tag der Stille gibt. Das entspricht der Wirklichkeit unseres Lebens, in dem wir auch oft auf Erlösung und Befreiung warten und manchmal den Eindruck haben, dass Gott weit weg ist.
Die Kirche des Ostens hilft uns, diesen Tag nicht nur über uns „ergehen“ zu lassen, sondern eine positive Bedeutung in ihm zu entdecken. Ein Bild bringt dies sehr gut zum Ausdruck: die Auferstehungsikone. Wir sehen darauf, wie Jesus in die tiefste Dunkelheit hinabsteigt. Und was tut er dort? Er bricht die Tore der Hölle auf. Er nimmt Adam und Eva bei der Hand, das heißt, die ganze Menschheit, und er holt sie mit sich aus diesem Gefängnis heraus.
Wagen wir es also, die Freude der Auferstehung, die Freude Christi in unserem Leben, erstrahlen zu lassen. Diese Freude führt uns keineswegs weg von denen, die leiden, sondern sie gibt uns den Mut, uns unserem eigenen Leiden und dem anderer zu stellen.
Um die Dynamik des Osterglaubens zu bewahren und immer wieder zu finden, müssen wir uns mit anderen auf den Weg machen, mit anderen über unseren Glauben sprechen, über unsere Zweifel, und darüber, wie man beten kann. – Letzte Woche war ich in Rom. Wie jedes Jahr hat mich der Papst in Audienz empfangen, um einen Moment unter vier Augen sprechen zu können.
Am Ende der Audienz habe ich Papst Franziskus gefragt, ob er eine kurze Videobotschaft aufnehmen könne, um die Jugendlichen zu begrüßen, die nach Taizé kommen. Er hat das gerne getan; ihr könnt das im Internet anschauen. Es ermutigt euch, euch gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen, nicht allein, im Glauben, und aufmerksam zu sein für die Schönheit der Erde, der Natur, und alles zu tun, um für die Unversehrtheit der Umwelt zu sorgen. Und er bittet euch demütig, für ihn zu beten.
Wir Brüder leben zusammen, weil wir durch unser gemeinsames Leben zum Ausdruck bringen wollen, dass Christus auferstanden ist, dass er uns in ihm vereint, über alle Unterschiede hinaus, die zwischen uns bestehen können.
Wir freuen uns, dass sich morgen früh unser Bruder Jubaraj aus Bangladesch für sein ganzes Leben in unserer Communauté engagieren wird. Das ist ein großes Fest für uns, für uns Brüder, die seit über 40 Jahren in Bangladesch leben; und auch die Brüder, die in kleinen Fraternitäten an verschiedenen Orten auf der Welt leben, haben einen ganz besonders großen Anteil an dieser Freude. Um unseren Bruder Jubaraj zu begleiten, singen wir morgen früh einen der Gesänge auf Bengalisch: „He Probhu tomatey.“
In diesem Jahr erinnern wir uns auch daran, dass am Ostermorgen, im Jahr 1949, also vor genau 70 Jahren, die ersten sieben Brüder, nach vielen Jahren der Suche und der Vorbereitung, sich für ihr ganzes Leben entschlossen haben, Christus in unserer Communauté nachzufolgen. Mit ihnen zusammen können wir uns freuen über das, was uns heute geschenkt ist.
Danken wir Gott, dass er uns durch Christus im Heiligen Geist in dieser einzigartigen Gemeinschaft, die die Kirche darstellt, zusammenführt: So arm und unvollkommen sie auch sein mag, sie macht uns zu einem Zeichen seiner Liebe in der Menschheitsfamilie.