TAIZÉ

Eine Reise durch Ost-Afrika

 
Anfang des Jahres reiste ein Bruder fünf Wochen lang durch Kenia, Uganda und Tansania.
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Als ich Taizé verließ, war ich allein, und doch war ich während meiner ganzen Reise in guter Begleitung. Viele Schutzengel wachten über mich, die meine Schritte lenkten und zum Guten führten. Am letzten Samstag schlugen junge Leute in Tansania ein kleines Treffen vor, das sie zusammen mit Pater Appolinari organisiert hatten, dem Studentenseelsorger der Universität von Dar es Salam. Sie hatten dafür einen Ort 70 km außerhalb von Dar es Salam am Indischen Ozean ausgesucht. Mit all den Hotels und Touristen kam dort die ganze Widersprüchlichkeit in der Begegnung zwischen Afrika und der übrigen Welt zum Ausdruck. Der Ort war früher arabischer Handelsstützpunkt, wovon noch Ruinen aus dem 13. Jahrhundert mit Gräbern und Überresten von Moscheen zeugen. Zudem war es ein bedeutender Hafen, Ziel der Sklaven-Karawanen aus dem östlichen Afrika. Die Sklaven wurden im Landesinneren gekauft und mussten in drei bis sechs Monate 1.200 Kilometer zu Fuß zurücklegen. Am Hafen angekommen, wurden sie zur Schau gestellt, angepriesen, verkauft und in die arabischen Länder oder auf die Plantagen der Inseln im Indischen Ozean verschleppt. Außerdem waren hier vor 130 Jahren die ersten Missionare in Ost-Afrika angekommen. Ein Kreuz, eine Kirche, und ein Friedhof mit ungefähr 50 Gräbern erinnert an die Missionare, die hier im Alter von 20, 30 oder 35 Jahren an Malaria oder anderen Krankheiten gestorben waren.

Es war ein unvergleichliches Glück, fünf Wochen lang in drei afrikanischen Ländern von jungen Menschen aufgenommen zu werden, die schon einmal in Taizé waren, die mit uns gelebt und gebetet hatten, die unser Leben kennen, unsere Arbeit, unser Bemühen, junge Menschen aus aller Welt zu empfangen. Das machte vieles einfacher; man war von sofort miteinander vertraut. Sie verstanden worum es mir ging: ihr Leben mit seinen besonderen Herausforderungen zu teilen, das Licht und die Hoffnung, aus der sie leben. Es ging darum, sich begleiten und führen zu lassen. Das Wichtigste ist die Gastfreundschaft, der Empfang: das ist vielen Afrikanern bewusst. Auch wer weder lesen noch schreiben kann weiß, dass ein Gast ein Segen ist. Das kommt auch in den Worten zum Ausdruck, mit denen man begrüßt wird.

Die ersten zwei Wochen verbrachte ich in einem Vorort von Nairobi, in unmittelbarer Nähe von Mathare Valley, einem Elendsviertel, in dem gerade drei- oder vierstöckige Blocks gebaute werden. Ich lebte mit italienischen Priestern zusammen: zur nächstgrößeren Straße oder zur Bushaltestelle waren es 20 Minuten Fußweg. Jeden Tag bereiteten die jungen Leute einen Besuch in diesem Stadtteil von 350.000 Einwohnern vor, und es war ihnen wichtig, dass ich an ihrem Leben teilnahm, dass ich dabei war, wenn sie Kranke oder Freunde besuchten.

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Empfangen zu werden heißt zunächst, ein Haus betreten, das oft nur aus einem Zimmer für die ganze Familie besteht, sechs oder acht Quadratmeter, ein Vorhang vor dem Bett, der Rest des Raumes vollgestellt mit Sofas, Sesseln und Kissen rings um einen niedrigen Tisch; alles ist für den Empfang eines Gastes eingerichtet. Gekocht wird im Hof auf einem kleinen Holzkohleofen. Als erstes bekommt man ein Glas Limonade. Wir genießen das Getränk, während die Kinder zuschaue, die kaum jemals Limonade vorgesetzt bekommen. Nach einer ganzen Weile, nach allen möglichen Vorbereitungen im Hintergrund, nach geschäftigem Kommen und Gehen wird das Essen aufgetragen und die Nachbarn gesellen sich dazu. Der Gast bleibt die ganze Zeit über sitzen. Zum Essen gab es Maisbrei, eine kompakte Masse, unter die man mit der Hand Tomaten und Zwiebeln mischt. Nach und nach füllt sich das Haus: zehn, fünfzehn Personen in einem winzigen Raum, alle sollen an der Freude über den Gast teilhaben. Dann wird eine Schale Wasser zum Händewaschen herumgereicht. Vor und nach dem Essen wird gebetet.

Dann kommt der Gast an die Reihe und erkundigt sich über die Familie. Der Gastgeber verschwindet einen Augenblick hinter dem Vorhang und kommt mit dem Photoalbum zurück. Das ist, als ob die Schatzkammer des Herzens, der Familie, geöffnet wird. Seite für Seite werden einem diejenigen vorgestellt, die bereits nicht mehr unter uns weilen; man sieht die freudigen Ereignisse des Lebens und die traurigen, entscheidende Etappen auf der Schullaufbahn der Kinder. Nun kann der Gast Fragen stellen, eine Geschichte folgt auf die andere. Die Nachbarn erkennen ihre Freunde auf den Photos wieder; es ist leicht, zur Familie zu gehören und alles zu teilen: Das Gedächtnis, Ausdruck eines ganzen Lebens.

Eine sehr schöne Entdeckung ist die Lebendigkeit der örtlichen Gemeinden. Vor 15 Jahren wurden nach der letzen Afrikasynode kleine christlichen Nachbarschaftsgemeinden ins Leben gerufen: Etwa 30 Leute treffen sich jede Woche im Hof oder im Haus eines der Gemeindemitglieder, um zusammen zu beten, zum Bibelgespräch, um die Probleme in der Nachbarschaft zu besprechen und wie den Kranken geholfen werden kann. Die einzelnen Gemeinschaften sind voneinander unabhängig, sie wählen ein kleines Komitee mit einem Vorsitzenden. Jeweils ein Mitglied der Gemeinde kümmert sich besonders um die Kranken, ein anderes um die Vorbereitung der Taufbewerber, wieder ein anderer bereitet die Beerdigungen vor usw. Die Delegierten nehmen ihrerseits an Treffen für die Vertreter der anderen Gemeinden im Umkreis teil, zu denen 30 oder mehr Delegierte zusammenkommen. Es ist ein wunderbarer Weg, Verantwortung und Aufmerksamkeit auf andere zu lernen, und mit anderen zusammenzuarbeiten.

Eine der wichtigsten Initiativen dieser Gemeinschaften ist eine Recycling-Kooperative, die auf der großen Mülldeponie von Nairobi arbeitet. Tausend Menschen leben dort von der Mülltrennung. Ungefähr vierzig Personen hatten sich zu einer Kooperative zusammengeschlossen, die von einer italienischen NGO unterstützt wird, die ihnen vor kurzem eine Maschine zum Schreddern von Plastikabfall besorgt hat.

Im Norden Tansanias, in der Nähe von Arusha, lernte ich eine andere kleine christliche Gemeinschaft kennen, die in der Steppe im Gebiet der Massai lebt. Zum Treffen kommen hauptsächlich Mütter mit ihren Kindern; die wenigen Männer sind Hirten, die beim Zuhören, mit einem Auge auf ihre Ziegen aufpassen. Wir sangen das Gebet in der Sprache der Masai. Als Gast wird man herzlich empfangen. Wenn man eines der Häuser aus roh verputztem Lehm und Kuhdung betritt, steht das Essen bereit: Reis und Bohnen.

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Diese kleinen Gemeinschaften, die jeden Sonntag in einer Kirche zusammenkommen und mit der Großgemeinde eng verbunden sind, strahlen Lebendigkeit aus; die Laien spielen eine Rolle, die an die frühe Kirche der Apostelgeschichte erinnert: eine Seelsorge vor Ort, ganz nah bei den Menschen.

Ich war bei mehreren Besuchen von Schwerkranke dabei, die nicht mehr lange zu leben hatten. Bei diesen Kranken wurde die Eucharistie zu Hause gefeiert. Es war bewegend zu erleben, wie nahe die Gemeinde den Kranken und Schwachen ist: Eine von der Gemeinschaft delegierte Frau half der Familie und der Ehefrau des Kranken, Kontakt zur Kirche wieder aufzunehmen. Alle waren sehr dankbar für diese konkrete Gemeinschaft und die Versöhnung. Die meisten Menschen sterben zu Hause, es gibt weder Arzt noch Medikamente und dennoch spürt man großes Gottvertrauen.

Man erlebt in Afrika wie auch woanders auf der Welt die Auswirkungen des rapiden Umbruchs vom traditionellen, ländlichen Leben zur säkularisierten Moderne: die städtisch geprägten, individualistischen Gesellschaft, bietet einigen Menschen die Möglichkeit eines schnellen sozialen Aufstiegs; gleichzeitig ändert sich die ganze Lebensweise, die Medien üben ihren Einfluss aus. Die Metropolen Afrikas entwickeln sich im Rahmen der Globalisierung und im Rhythmus der internationalen Märkte.

„Wir sind ‚dot.coms’, unsere Eltern waren noch ‚Postfächer’!“, beschreibt ein junger Mann den Graben, der die Generation trennt. Die Eltern antworten darauf: „Unsere Kinder müssen alles über Bangladesch wissen und über die Ernten in Frankreich, aber sie wissen nicht mehr, wie man bei uns seit Jahrhunderten Fische fängt! Die Schule verfehlt ihren Auftrag, vieles von dem, was man dort lernt, nützt nichts …“

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Die Kleinen Schwestern Jesu bestätigen dies: „Die jungen Menschen in den großen Städten sind sehr gefährdet. Der Einfluss des Fernsehens wächst von Tag zu Tag. Selbst die Massai haben batteriebetriebene Fernsehgeräte! Kleine Kinder sitzen davor und sehen sich an, was auf den Fernsehkanälen der westlichen Welt läuft. Die Gesellschaft verändert sich zu schnell. Die jungen Leute versuchen, sich selbst zu finden. Sie brauchen einen Rahmen, der ihnen Bezugs- und Anknüpfungspunkte bietet. Immer wieder hören sie, dass sie die Zukunft sind, aber es wird ihnen kein Vertrauen entgegengebracht. Die Verantwortung bleibt in den Händen der Erwachsenen. Wo Jugendliche in den Kirchengemeinderäten das Wort ergreifen und die Wahrheit sagen, werden sie oft zum Schweigen gebracht. Die aufstrebende Mittelschicht neigt dazu, ihre Kinder zu sehr zu beschützen. Sie verlieren ihren Sinn für selbstlose Hilfe, die früher selbstverständlich war, fester Bestandteil des traditionellen Zusammenlebens. Bequemlichkeit haben sie gewonnen, und bezahlt haben sie mit der Möglichkeit, sich menschlich weiterzuentwickeln.“

Pater Michael von der Church of Uganda: „Wir erleben einen Massenauszug aus den traditionellen Kirchen. Festgelegte, formalisierte Liturgien rufen Langeweile hervor. Die Zahl der Berufungen zum pastoralen Dienst geht zurück. In einem liberalisierten Umfeld ist es sehr schwer, die Seligpreisungen und das Evangelium von der Armut zu verkünden. Die Pfingstbewegung zieht die Leute durch ihre Dynamik an, durch ihre herzliche Atmosphäre, durch die persönlichen Gebete. … Sie sind der traditionellen Religion näher; zum Teil kommen sie den Bedürfnisse, die durch die Medien geweckt werden, besser entgegen, außerdem geht von ihnen der Reiz des Neuen aus.“

„Mit dem Abstand einiger Jahre, was bleibt von der Erfahrung Eures Aufenthalts in Taizé?“ Die Antworten auf diese Frage ähneln sich: „Wir haben in einer große Familie gelebt, mit Menschen aus der ganzen Welt! Wir haben gearbeitet, ohne etwas dafür zu erwarten, und das war eine sehr schöne Erfahrung! Das einfache Gebet, Gesang und Stille haben uns eine tiefe, persönliche Beziehung zu Gott ermöglicht... Wir wollen bei uns zuhause weitergehen und weitergeben, was wir entdeckt haben.“

Letzte Aktualisierung: 29. Mai 2006