Reisen bedeutet, ein Risiko einzugehen. Wir begegnen neuen Menschen, wir gewinnen neue Eindrücke und ein Teil dessen, was wir entdeckt haben, wird in gewisser Weise unsere Sicht auf die Welt, das Leben, die anderen Menschen und natürlich auch unseren Glauben verändern.
Eine Pilgerreise zu unternehmen ist eine Form, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen, denn jede Reise bietet uns eine Gelegenheit zu wachsen. Aber vor allem hilft es uns, die Liebe Gottes zu erfahren. Ich sehe diese Liebe in den Menschen, denen ich begegne, in ihrer Offenheit, ihrem Wohlwollen und ihrer Anwesenheit. Und ich sehe diese Liebe in der gesamten Schöpfung. Denn die Liebe Gottes ist in allen Dingen spürbar.
Es ist jedoch schade, dass die Ströme der Liebe im Alltag so leicht untergehen; man spricht dann gern vom „grauen Alltag“. Aber in Wirklichkeit schillert im gewöhnlichen Leben eine erstaunliche Liebe, die uns ganz nahe ist.
Wenn ich etwas Zeit habe, entspanne ich mich gern und beobachte die Vögel im Garten. Es ist mir schon oft passiert, dass ich beim Anblick eines Stars ins Staunen geriet. Auf den ersten Blick sieht er mit seiner grauschwarzen Farbe ziemlich unscheinbar aus. Aber in einem bestimmten Licht schimmert er wie Perlmutt, wie ein Regenbogen, wie die Wasseroberfläche an einem schönen Sommertag. Und diese Schönheit war immer da. – Warum habe ich sie bisher nie gesehen?
Manchmal helfen mir unerwartete Ereignisse, die Verspätung eines Zuges, das Zerbrechen von Gegenständen oder ein neues Licht, um auf einmal mehr zu sehen. Oder es ist eine Pilgerreise, die so etwas bewirkt.
Die beiden Freunde, die von Jerusalem nach Emmaus unterwegs sind, verlassen den Gang des Alltäglichen. In gewisser Weise ist mit der Kreuzigung Jesu ihr Leben zusammengebrochen. Im Gehen können sie über das Geschehene nachdenken.
Sie unterhalten sich sehr aufgeregt, denn es kursieren Gerüchte, die ihrer Lebenserfahrung widersprechen. Tote werden nicht wieder lebendig. Ihre Denkweise wird in Frage gestellt. Der „Fremde“, der auftaucht, hilft ihnen, die Bruchstücke ihres Weltbildes wieder zusammenzusetzen. Jesus öffnet ihnen die Augen.
Die Wirklichkeit beginnt zu schillern. Vorher hatten sie gewusst, was ihr Leben ausmachte, ihre Erfahrungen mit Jesus, ihre Gebete, ihre Hoffnung, ihr Vertrauen oder auch ihren Mangel an Vertrauen. Wir wissen, was wir haben und was wir brauchen.
Doch nun erklärt Jesus die Auferstehung, den Sieg über den Tod. Die Liebe Gottes schimmert, sie erstrahlt auf dem staubigen, alltäglichen Weg. Sie sehen allmählich eine Wirklichkeit, die schon immer da war, aber erst jetzt sichtbar wird.
Die Worte Jesu und das Licht Gottes erleuchten die Gegenwart und erhellen auch die Vergangenheit. Plötzlich beginnen sie, die alten Geschichten und die drei Jahre, die sie mit Jesus verbracht haben, neu zu verstehen. Sie entdecken das Leben neu.
Und mehr noch: Ausgehend von dem, was sie entdeckt haben, erhellt sich auch die Zukunft. Das „Perlmutt des Lebens“ beginnt zu erstrahlen und die Fülle des Lebens scheint selbst durch den grauen Alltag hindurch.
Die Farben des Stars schimmern. Die Farben des Regenbogens zeigen sich, während es regnet. Das ewige Leben Gottes strahlt hier und jetzt. Gott weckt neues Vertrauen zwischen sich und den Menschen. Hier und jetzt liebt uns Gott und erschafft neues Leben.
Der Gekreuzigte und Auferstandene ist in allen Situationen des Lebens gegenwärtig. Auch in den Ereignissen, die uns herausfordern und bedrohen. Der Lebendige, der in den Tod hinabgestiegen ist, ist da, er ist für uns gegenwärtig, er ist lebendig in allen Situationen unseres Lebens, selbst in den schmerzhaftesten. Die Liebe, mit welcher der Auferstandene unser Leben erhellt, ist auch dort, wo wir sie nicht sehen können oder nicht sehen wollen.
Jesus lädt uns ein, die Welt mit seinen Augen zu betrachten, mit den Augen des Lebens und der Liebe. Vielleicht sind wir auf unserer Pilgerreise noch nicht an diesem Punkt angelangt. Aber Jesus ist da und sieht uns an. Und in seinen Augen leuchtet die Liebe.