TAIZÉ

Sonntagsbetrachtungen von Brüdern der Communauté

 
An bestimmten Sonntagen des Kirchenjahres halten Brüder der Communauté im Sonntagsgottesdienst eine kurze Betrachtung, die hier veröffentlicht wird.

Taufe des Herrn | Gedanken von Frère Rudolf

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Warum will Jesus sich von Johannes taufen lassen? Er hat es nicht nötig, er ist kein Sünder. Im Gegenteil, er ist gekommen, um uns die Sünden zu vergeben. Warum besteht er dann darauf, getauft zu werden?

Jesus will nicht größer oder wichtiger sein als die anderen. Er möchte so sein wie alle, die kommen, um sich von Johannes taufen zu lassen. Durch seine Taufe im Jordan stellt er sich auf unsere Seite, in unsere Mitte.

Johannes der Täufer weiß, wer dieser Mann ist, der zu ihm kommt. Er sagt: „Ich bin nicht würdig, den Riemen seiner Sandalen zu lösen.“

Als Jesus aus dem Wasser steigt, gibt es eine Überraschung. Es geschieht etwas, was bei keinem anderen der von Johannes Getauften geschehen ist. Der Himmel öffnet sich und der Geist kommt wie eine Taube auf Jesus herab.

Jesus hört eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn; in dir habe ich meine Freude.“ Jesus empfängt den Geist seines Vaters, den Heiligen Geist.

Wie verläuft unsere Taufe? In der Frühzeit stiegen die Getauften in ein tiefes Becken und kamen wieder herauf.

Ich habe lange mit unseren Brüdern in Alagoinhas, einer armen Gegend in Brasilien, gelebt. Am Eingang unserer Kirche dort steht ein Baptisterium, wie es in alten Kirchen üblich ist. Dort steigt man ins Wasser hinab und wieder hinauf.

Jedes Mal, wenn jemand aus dem Taufbecken steigt, singen alle gemeinsam. Wenn der Täufling Tamires heißt, singen wir dreimal: „Tamires, du bist meine geliebte Tochter, in dir finde ich meine Freude, in dir finde ich meine Freude.“ Wenn Jonathan getauft wurde, singen wir dreimal: „Jonathan, du bist mein geliebter Sohn, in dir finde ich meine Freude, in dir finde ich meine Freude.“

Das ist die Stimme, die bei der Taufe Jesu vom Himmel kam. Wir singen die Worte, die Jesus als Erster gehört hat. Wir singen sie manchmal zehnmal, manchmal zwanzigmal, und zwar für jeden Täufling.

Bei der Taufe werden wir alle zu Kindern Gottes, zu seinen Söhnen und Töchtern. Unsere Taufe bringt uns mit Jesus zusammen. Die Freundschaftsikone drückt dies gut aus. Der Arm Jesu liegt auf unserer Schulter: Wir sind also zwei Kinder Gottes, die zusammen unterwegs sind.

In Alagoinhas kommt oft ein Jugendlicher bei einer Abrechnung zwischen verschiedenen Drogenkartellen ums Leben. Ein getaufter Jugendlicher, der die Freude Gottes ist.

In unserer Nachbarschaft habe ich oft Leute sagen hören: „Der hat das verdient, er hat seinen Tod verdient.“ Doch Gott hat zu ihm gesagt: „Du bist meine Freude!“

Eines Tages hat mir die Mutter von Jonathan, der im Gefängnis saß, von einem Besuch bei ihrem Sohn erzählt. Sie legte die Hände auf die Hände ihres Sohnes, der von der Polizei schwer gefoltert worden war, und sang lange ein Gospellied, in dem es heißt: „Wohin du auch gehst, in das Dunkel der Nacht – deine Vergangenheit hat für Gott keine Bedeutung, er lässt dich nicht im Stich.“ Und der Refrain lautet: „Ich habe noch nie eine solche Liebe gesehen. Er verlässt niemanden!“

Der Glaube dieser Mutter hat mich sehr beeindruckt. Seitdem singen wir jedes Mal, wenn ein junger Mensch ermordet wird, an seinem offenen Sarg dasselbe Gospellied. An einem offenen Sarg von der Freude Gottes zu singen, ist nicht leicht.

Denken wir an unsere eigene Taufe und singen wir von der Freude Gottes. Hören wir auf seine Stimme, die zu jedem und jeder sagt: „Du bist mein geliebtes Kind, in dir finde ich meine Freude.“

Letzte Aktualisierung: 15. Januar 2024