TAIZÉ

Abgeschlossen und ausgesperrt?

 
Die „Anlaufstelle für Flüchtlinge und Einwanderer“ in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, wurde vor zwölf Jahren auf Initiative der Brüder aus Taizé in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und kirchlichen Gemeinschaften der Stadt eröffnet.

Vergangenen Oktober war es zu dramatischen Zwischenfällen gekommen, als an die 2000 Afrikaner versuchten, die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste zu erstürmen, um auf europäisches Territorium zu gelangen. Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer, mindestens 11 Menschen starben und viele wurden verletzt. Seitdem haben sich die Einwanderungsrouten aus dem südlicheren Afrika schnell geändert. Sie gehen nicht länger über Tamanrasset (Algerien) und Agadès (Niger) quer durch die Wüste in Richtung Norden, sondern zunehmend durch die westliche Sahara. Zwischen Dünen an der Küste zusammengepfercht, warten die Menschen auf ruhige See, um mit ein bisschen Glück in zwei Tagen die Kanarischen Inseln zu erreichen, die zu Spanien gehören, einem Teil Europas! In Dakar erzählt man noch von einer Frau aus dem Niger, die sich hochschwanger auf den Weg gemacht hatte, und ihr Kind bei ihrer Ankunft am Strand zur Welt brachte, nach den Härten der Reise und einer holprigen Landung. Aber das Kleine war „spanisch“ und ermöglichte der ganzen Familie nachzukommen; das Ziel war erreicht!

Seitdem hat sich vieles verändert. Marokko hat seine Grenzen dicht gemacht und Nouadhibou, die westlichste Hafenstadt Mauretaniens, sah plötzlich eine Invasion Reiselustiger über sich hereinbrechen; die meisten aus der Sahelzone, einige von noch viel weiter entfernt. Mittlerweile ist es nicht mehr möglich, sich im Frachtraum von Schiffen auf dem Weg nach Europa zu verstecken, um schlimmstenfalls am frühen Morgen von den Tränengasbomben der Polizei ans Tageslicht getrieben zu werden. Wir befinden uns jetzt im Zeitalter der kleinen Motorboote: Zwei Außenbordmotoren genügen für fünfzig Passagiere, die vor den Augen der Polizei ablegen. Es folgen wenigstens fünf Tage gefährlicher Navigation mit handelsüblichen GPS-Geräten; zunächst in Richtung Norden, immer im richtigen Abstand zur Küste, um weder der spanischen noch der marokkanischen Küstenwache in die Quere zu kommen, um dann die eigentliche Überfahrt in Angriff zu nehmen. Auf diesen Routen verschwinden viele Boote: überaltertes Material, kaputte Motoren und Navigationssysteme, unerfahrene Bootsführer… da fehlt nur noch, dass der Wind plötzlich auffrischt. Jeder hat die dramatischen Geschichten Überlebender gelesen, die sofort festgenommen und abgeschoben werden, sofern man ihre Nationalität feststellen kann.

Einige Wochen später ergab sich eine neue Situation: Spanien bot Mauretanien Unterstützung an, um derartige Fahrten zu verhindern. Die verstärkte Überwachung versperrte also auch diesen Weg. Plötzlich verlagerten sich die Dinge weiter nach Süden. In St. Louis, im nördlichen Senegal, wurden zwei Fischer, die sich auf Personentransport verlegt hatten („es gibt keine Fische mehr“), zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. So machen sich die Menschen sogar von Dakar aus auf den Weg. Damit wird die Reise immer länger, gefährlicher und teurer; schon hört man von Preisen um die 350.000 Francs CFA pro Person (etwa 450 Euro) und mehr, so viel wie ein Flugticket nach Europa. In der jetzigen Jahreszeit ist Hochbetrieb, das Meer ist ruhig und Stürme selten. Letzten Mai landeten an einem einzigen Wochenende 400 Menschen auf den Kanaren, wo Polizei und Rotes Kreuz völlig überfordert sind. Zu alledem gibt es in Spanien ein Gesetz, welches die Abschiebung Minderjähriger verbietet. Die Einwanderer werden deshalb immer jünger. Man erzählt von zwei Brüdern, 13 und 14 Jahre alt, die von ihrer Familie in Mali losgeschickt wurden, und mit viel Glück sicher ans Ziel gekommen sind. Sie rufen seither jede Woche zu Hause an! In den Vororten Dakars machen Neuigkeiten die Runde, Anwerber sind eifrig im Geschäft, die Polizei ist in Alarmbereitschaft.

Wie soll das weitergehen? Es ist zu erwarten, dass Europa wie im Belagerungszustand seinen Druck und die Hilfsangebote an die afrikanischen Regierungen erhöhen wird, um den Strom an der Quelle einzudämmen. Drakonische Grenzkontrollen, Abschiebungen in die Nachbarländer: der „freie Personen- und Güterverkehr“, den die Gemeinschaft Westafrikanischer Staaten als wichtigen Schritt hin zur ersehnten Einheit des Kontinents lautstark fordert, wird das erste Opfer dieser Maßnahmen sein. Afrika würde von außen zugesperrt. Es ist natürlich illusorisch, eine aus derartiger Verzweiflung genährte Bewegung aufhalten zu wollen.

Neu ist, dass sich die „Anlaufstelle für Flüchtlinge und Einwanderer“ unter Leitung der Caritas Dakar auch um Menschen aus dem Senegal selbst kümmern muss. Aber es gibt bereits eine neue Kategorie Hilfesuchender: die Zurückgeschickten. Aus Marokko oder Mauretanien abgeschoben, landen sie völlig verloren wieder in Dakar. Für die Reise nach Europa hatten sie Darlehen aufnehmen müssen oder wurden von ihrer Familie und dem ganzen Dorf finanziell unterstützt; die Hoffnungen des ganzen Clans lasteten auf ihnen. Nun ist alles schief gegangen, alles verloren und sie sind der Schande verfallen. Unmöglich in ihre Dörfer zurückzukehren, wo sie sich ihren Gläubigern stellen müssten; wie sollten sie die auszahlen? Nicht zu reden davon, was sie sonst noch zu hören bekämen! So sind sie Flüchtlinge im eigenen Land, ohne Einkommen und Rückhalt einer Familie, und im Herzen nur den unersättlichen Wunsch, sich am Schicksal zu rächen. Sie werden alles versuchen, die Barrieren das nächste Mal zu überwinden, auch wenn diese immer höher werden. An einem einzigen Wochenende griff die senegalesische Marine 1.500 Menschen auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln auf.

Letzte Aktualisierung: 4. März 2007