Obwohl die Hauptzufahrtsstrasse nach Cochabamba von LKW’s blockiert wurde, war die Kirche San Francisco am Abend des 22. Februar voll Jugendlicher, die zum „Gebet der Versöhnung“ gekommen waren. Jugendliche aus den Kirchegemeinden, die an den Tagen der Versöhnung im Oktober 2007 teilgenommen hatten, freuten sich über das Wiedersehen und den Moment der Ruhe inmitten ihrer harten Arbeit für Frieden und Versöhnung.
Als Erster begrüßte sie Msgr. Tito Solari, der Erzbischof von Cochabamba. Seine Worte gingen zu Herzen, doch nicht ohne Bezug zur Wirklichkeit. Mit Bezug auf das Gleichnis vom Weizen und vom Unkraut sprach er zu den Jugendlichen davon, dass wir zwar jeden Tag Licht und Dunkelheit begegnen, dass wir aber aufgerufen sind, aus dem, was wir sind, Neues entstehen zu lassen, aus allem was in unserem Leben gut und weniger gut ist. Wenn man das Alltagsleben der Jugendlichen in diesem Land betrachtet, ihre Schwierigkeiten, die Flut in vielen Teilen Boliviens vor nicht langer Zeit, die steigenden Preise für Grundnahrungsmittel, und die nicht enden wollenden politischen Konflikte, dann waren Msgr. Solaris Worte ein Kanal der Hoffnung. Ja, selbst mit Unkraut kann Gott Neues schaffen.
Während des Treffens beschlossen die Jugendlichen, das Gebet regelmäßig fortzusetzen. In einige Gemeinden von Cochabamba treffen sich bereits regelmäßig Jugendliche zu einem meditativen Abendgebet. Mit Unterstützung der Diözesanjugendstelle von Cochabamba soll es fortan dreimal im Jahr ein „Gebet der Versöhnung“ geben. Für viele sind diese Gebete sehr wichtig. In einem Land mit einer so unsicheren Zukunft, das sich schnell verändert, ist das Gebet eine Quelle der Ruhe, nicht um sich aus dem Alltag zurückzuziehen, sondern um sich auf das zu besinnen, was wirklich zählt. Christus ist wichtig, in ihm sind wir alle versöhnt und er gibt uns die Kraft, mit einem versöhnten Herzen zu kämpfen, wie der „Brief aus Cochabamba“ sagt.
Am nächsten Tag fand ein Gebet in El Alto statt. Im Jahre 2004 hatten hier „Tage der Versöhnung“ stattgefunden, mit mehr als 2000 jungen Teilnehmern.
Nach dem Einsingen sprach ein junger Mann aus Titichachi, einem kleinen Dorf in den Bergen, etwa 7 Stunden von El Alto entfernt, über seine Erfahrungen, die er in drei Monaten in Taizé letzten Sommer und bei der Vorbereitung des Treffens in Cochabamba gemacht hatte. Er sprach sehr offen über seine Ängste, die er vor Taizé hatte: in einem fremden Land zu sein; nicht anerkannt zu werden; nicht genügend Englisch zu sprechen; aus einem so armen Land zu kommen. Aber er erzählte auch, wie er Schritt für Schritt die Ängste überwunden hat.
Für Esteban bedeutet der Kampf mit einem versöhnten Herzen vor allem, mit sich selbst versöhnt zu sein, seine eigene Geschichte und die seines Volkes anzunehmen. Mit einem versöhnten Herzen kämpfen bedeutet, sich selbst vom Eindruck zu befreien, man könne nichts beitragen, weil man aus einem Land kommt, in dem vieles schwierig war und ist. Nach der Vorbereitung in Cochabamba beschloss er, sich an der Kunstakademie in La Paz zu bewerben, wo er nun studiert. Für das Treffen in Cochabamba hatte er eine Ikone gemalt, die während der Gebete in dr Gebetshalle hing. Sie zeigt eine bolivianische Familie: Der Vater ist aus dem Altiplano, die Mutter trägt die Kleidung der cruceña und die Tochter ist sichtlich aus Cochabamba. Es ist eine Ikone der Versöhnung.
Dann ging es in La Paz weiter, etwa 25 Minuten von El Alto enfernt. Das „Gebet der Versöhnung“ fand dort in der Gemeinde „Corazón de María“ statt. 15 Jugendliche von der Jugendstelle der Erzdiözese La Paz hatten alles vorbereitet: Berichte von Jugendlichen, die an den Tagen der Versöhnung in Cochabamba teilgenommen hatten, Bilder, Gesangsprobe, Gebet ums Kreuz…
Einer von ihnen, Vicente, erzählte von seinen Erfahrungen während den Tagen der Versöhnung: ‚Etwa 100 Jugendliche waren aus La Paz mit dem Bus nach Cochabamba zu den Tagen der Versöhnung aufgebrochen. Ich war aufgeregt und ein wenig besorgt, denn ich kannte die anderen im Bus kaum und meine Gedanken waren nicht sehr hoffnungsvoll: „Es sind schlechte Zeiten, beten hilft doch nichts, die Hoffnung fliegt davon wie ein Vogel.“ Das kommt daher, dass die Bevölkerung in unserem Land bekanntlich gespalten ist.
Als wir ankamen, war ich sehr beeindruckt, auch Jugendliche vom Land in ihren Trachten zu sehen. Im Laufe der Tage traf ich Menschen aus ganz Lateinamerika, aus Nordamerika, Europa und sogar ein paar aus Asien, Afrika und Australien.
Am letzten Tag des Treffens sagte ich zu mir selbst: Heute wird ein Wunder geschehen, wenn du glaubst, wirst du es sehen. Und es gab tatsächlich eins, denn nach der Abschlussmesse gab sich die große, sozial und kulturell so unterschiedliche Menschenmenge ein Zeichen des Friedens. Und es geschah ein echtes, kleines Wunder der Versöhnung: Jugendlichen aus Chile hatten dem Bischof einen Brief gegeben, in dem sie sagten, dass sie die Vergangenheit vergessen und gemeinsam einer Zukunft des Friedens entgegen gehen wollen.
’Nach dem Gebet beschlossen wir, die Freundschaftsikone, die wir in Cochabamba bekommen hatten, einen Pilgerweg durch La Paz machen zu lassen. So tragen die Tage der Versöhnung immer noch Früchte!“
Der letzte Teil unserer Reise führte uns nach Santa Cruz de la Sierra, in den Osten des Landes. In den Nachrichten hört man oft über die Trennung zwischen Osten und Westen Boliviens. Häufig führt Santa Cruz de la Sierra die Liga der östlichen Provinzen an. Im Oktober waren über 300 Jugendliche aus Santa Cruz zu den Tage der Versöhnung gekommen.
Das erste, was ich in Santa Cruz sah, war Wasser. Es hatte seit Monaten nicht aufgehört zu regnen. Die Regionen Beni und Santa Cruz sind am Stärksten betroffen. Die Leute sagen, dass über 60.000 Familien alles verloren haben. Zwischen dem Flughafen und meiner Unterkunft waren die Strassen überflutet. Zum Glück war das Auto hoch genug, um durchzukommen.
Die Überschwemmungen beeinträchtigen den Alltag aller Bolivianer. Aus Beni und Santa Cruz kommen Reis, Früchte, Molkereiprodukte und Fleisch. Die Verluste bedeuten, dass die Preise steigen werden. In den vergangenen Monaten ist Bolivien von der Inflation fast erdrückt worden.
Am Tag unseres Gebets der Versöhnung kündigte der bolivianische Präsident Evo Morales per Gesetz Volksabstimmungen zur Landverteilung und einer neuen Verfassung an. Für viele Menschen heißt dies, dass die Regierung kein Interesse an einem wahren Dialog hat. Einmal mehr ist es nicht einfach, Versöhnung und Vergebung zu wählen.
Vor dem Gebet der Versöhnung sprachen die Jugendlichen miteinander über den „Brief aus Cochabamba“. Für viele von ihnen ist der Brief eine Herausforderung, ein Fragezeichen: Werden wir zuhören können? Werden wir es schaffen, der Vergebung entgegen zu gehen? Wird es uns gelingen, mit einem versöhnten Herzen zu kämpfen?
Angesichts dieser Herausforderungen können wir uns nur immer wieder von neuem Gott anvertrauen. In dieser Nacht, in einer Sporthalle von Santa Cruz, umgeben vom wunderbaren Klang der Gesänge, war das Gebet um das Kreuz genau das richtige.“