Wir befinden uns hier auf zwei Vulkanen, die jederzeit wieder aktiv werden können. Der eine heißt Nyragongo und hat in den letzten dreißig Jahren die Stadt zwei Mal zerstört. Nachts wirft die flüssige Lava im Krater ihren rötlichen Schein in den Himmel; tagsüber steigt eine kilometerlange Rauchwolke auf. Der andere Vulkan besteht aus untereinander verfeindeten Guerillagruppen, deren gewaltsamen Übergriffe in der Provinz Nord Kivu seit Jahre großes Leid verursachen. Im November 2008 waren zwei Million Menschen obdachlos. Noch immer gibt es sieben Flüchtlingslager am Stadtrand.
An der Grenze zu Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, am nördlichen Ufer des Kivu Sees liegt Goma, von wo man mit einem Schnellboot in zwei Stunden in der Provinzhauptstadt von Süd Kivu, Bukavu, ist. Von der Stadt und ihrem Flugplatz gehen zahlreiche Unruhen in der Region der Großen Seen aus. Die Menschen hier denken immer noch an die Cholera-Epidemie im Jahr 1994, welche die Flüchtlingstrecks während der Massenflucht der Ruander stark schwächte.
Hauptstrasse
Truppen von UN-Blauhelmsoldaten im Kongo haben an mehreren Plätzen in der Stadt verschanzte Stützpunkte errichtet. Die Soldaten kommen aus Indien, Bangladesch, Uruguay… Sie patrouillieren nur im Konvoi oder gleich per Hubschrauber. „Sie kontrollieren zwar, können aber gegen die Unruhen auch nichts ausrichten“, bedauern die Einwohner… Die Allradfahrzeuge der Nichtregierungsorganisationen fahren durch die Stadt, ihre verschiedenen Flaggen wehen im Wind. Es gibt keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der einzigen geteerten Straße in diesem dicht bebauten Ort mit 600.000 Einwohner: die riesigen Schlaglöcher tun das Ihrige. Ansonsten fährt man auf Lava, die gewaltige Gebiete mehrere Meter dick bedeckt. Die Erde ist mit spitzen Buckeln übersät, welche die Straße zum Teil wie eine Treppe aussehen lassen. Dies hält die Tchugudus jedoch nicht von der Arbeit ab: Jugendliche transportieren auf große Holzrollern das Meiste in der Stadt. Sie laden bis zu 400 Kilo Lebensmittel oder andere Materialien. Welcher Mut, sich damit in den Verkehr zwischen Motorradtaxis und LKWs zu trauen!
Wegen der Unzulänglichkeiten der Verwaltung finden die Leute immer neue Wege, sich durchzuschlagen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weit auseinander, hier noch mehr als anderswo. Das Seeufer ist zugebaut von hoch gesicherten, teuren Villen. Eine Reihe von Flugzeugen setzt ihre Fracht von kostbaren Edelmetallen ab, die hundert Kilometer entfernt gewonnen werden. Strom- und Wasseranschlüsse fehlen oft in den Häusern. Aber das größte Problem bleibt die mangelnde Sicherheit. Täglich wird über Gewaltakte berichtet und die Schüsse in der Nacht lassen schon niemanden mehr aufhorchen: „Die rösten wieder Erdnüsse!“, scherzen unsere Gastgeber, bevor sie bei ein paar Nachbarn anrufen, ob alles in Ordnung ist…
Ein Flüchtlingslager
„Wenn wir die Kontaktfreudigkeit der Kongolesen und das Organisationstalent der Ruander zusammenbringen könnten, wäre viel erreicht und das Leben würde einfacher“, meint einer unser Gastgeber. Im Flüchtlingslager Makunda II schlafen 14.000 Menschen unter Plastikplanen, die über Ästen gespannt sind. Die Wände sind aus Stroh. Man kocht mit Holz auf einer Feuerstelle vor dem Eingang. „Wenn eine Hütte Feuer fängt, gehen die zwanzig umstehenden auch in Flammen auf“, erklärt Blaise, Koordinator des Jesuitenflüchtlingswerks. Das Welternährungsprogramm hat gerade die Verteilung von Mehl um die Hälfte gekürzt: nur noch sechs Kilo pro Person im Monat. Dies soll die Menschen dazu bewegen, in ihre Dörfer zurückzukehren. Einige fahren regelmäßig auf ihr Land und bestellen es, oft nur ein paar Stunden entfernt. Aber sie können sich nicht entschließen, ganz zurückzugehen. Die Angst vor Übergriffen von Rebellengruppen, die sich immer wieder neu zusammenstellen, ist zu groß. Es ist schwer, sich ein klares Bild zu machen: „Die Unruhen werden oft übertrieben“, sagt jemand, der gerade von einem Missionswochenende in der Region Rutchuru zurückkommt. „Es gibt Berichte über neue Flüchtlingstrecks, die mit ihrer Habe auf dem Kopf vor neuen Unruhen in das Masisigebiet fliehen“, erklärt eine Ordensschwester…
Die Salesianer betreiben eine technische Schule im Norden der Stadt. 3.000 Schüler lernen hier tischlern, maurern, Elektroarbeiten, klempnern, nähen usw… 300 davon kommen von der Straße oder sind Waisen. Hundert ehemalige Kindersoldaten sind von der UNO entmilitarisiert worden und müssen nun an einem Wiedereingliederungsprogramm teilnehmen. Erst danach bekommen sie die nötigen Dokumente. Diese Kinder sind besonders schwierig im Umgang und verwahrlost. An diesem Morgen bewerfen sie die Werkstattfenster der Tischlerei mit Steinen. Jugendliche vom Ort wollten sie mit Knüppeln und Macheten bestrafen. Wieder musste die Armee gerufen werden, um die Ordnung herzustellen. Die ehemaligen Soldaten können das Zentrum nicht verlassen; die Gefahr, dass sie von den Einwohnern des Ortes gelyncht werden, ist zu groß. In ihren Heimatdörfern sind sie oft auch nicht mehr erwünscht. Ihren Status als Soldaten und ihren Sold haben sie verloren. Einige von ihnen kommen ins Zentrum zurück und bitten um eine Berufsausbildung – aber oft genug geraten sie wieder in die Fänge der Rebellen.
Ein Teil der Jugendlichen aus Goma, die beim Treffen in Nairobi waren
Die Freude und Ergriffenheit der Jugendlichen über unseren Besuch stehen im Verhältnis zur Isolation, in der sie sich seit den Unruhen in ihrem Land befinden. „Diese Gegend hat so viel Gewalt gesehen, dass Jugendliche nur noch schwer an einen andere Zukunft glauben können“, meint ein Sozialarbeiter. Ein Dutzend von ihnen war beim Jugendtreffen im November 2008 in Nairobi, um am „Pilgerweg des Vertrauens“ teilzunehmen. Nach einem Sonntag, an dem sich die Gruppenleiter aus den verschiedenen Gemeinden der Stadt zu Gebet und zum Austausch getroffen hatten, kam eine junge Koordinatorin auf die Erfahrungen des Nairobi-Treffens zurück, die sie in einer dreiseitigen Botschaft sorgfältig zusammengefasst hatte: „… Wir waren nicht länger Jugendliche aus dem Kongo, Ruanda, Tansania, Südafrika, China und Europa, …wir waren alle Töchter und Söhne des gleichen Vaters; Er der durch Seinen Sohn das weit zerstreute Volk vereint. Diese Einheit in Vielfältigkeit ermöglicht uns eine andere Sichtweise auf die Welt, durch den Glauben. Nur das Evangelium kann Menschen auf diese Weise zusammenbringen, über soziale und politische Klüfte hinweg, und zu einem Volk werden lassen, das eine Sprache spricht: die der Liebe.“ Sie endete mit einer Einladung an uns, wieder zu kommen, um in ihrem Land ein Treffen vorzubereiten und ihnen zur Seite zu stehen…