Donnerstag, 27. November
Es ist eine große Freude, hier in Nairobi zusammen zu sein. Wir sind hier, um uns eine Frage zu stellen: Welche Hoffnung sind wir heute berufen, mit anderen zu teilen?
Mehr als achtzig Gemeinden haben monatelang zusammengearbeitet, um diesen wunderbaren Empfang vorzubereiten. Wir möchten allen danken, die die Türen ihrer Häuser geöffnet und dieses Treffen ermöglicht haben.
Wir sind alle sehr verschieden voneinander! Ihr kommt aus vielen Ländern Afrikas, und einige sind sogar von den anderen Kontinenten gekommen. Diese große Vielfalt ist ein Geschenk, denn wir alle gehören der selben Gemeinschaft an, der Kirche, der Familie Gottes.
Ich möchte gerne sagen, welche Freude es für mich bedeutet, wieder hier in dieser Stadt zu sein. Vor dreißig Jahren verbrachte ich einige Zeit hier in Nairobi mit Frère Roger, dem Gründer unserer Gemeinschaft, und einigen anderen Brüdern. Wir haben damals in Mathare Valley gewohnt.
Ich erinnere mich noch gut an diese Wochen. Die Erstes, die auf uns zugegangen sind, waren Kinder. Sie kamen gerne zu den Gebeten und haben uns das Lied „Simama“ beigebracht. Sie haben uns geholfen, Freundschaft und Vertrauen zu finden. Mehrere unserer Brüder blieb danach für zehn Jahre in Mathare Valley und in Kangemi.
Heute ändert sich die Gesellschaft und das Leben auf der ganzen Welt sehr schnell. Es gibt immer mehr außergewöhnliche Möglichkeiten des Fortschritts, aber Armut und Ungerechtigkeit gibt es weiterhin; neue Unsicherheit und die Sorge um die Zukunft werden stärker.
Damit technischer und wirtschaftlicher Fortschritt auch ein Mehr an wahrer Menschlichkeit mit sich bringen, müssen wir nach dem tieferen Sinn des Lebens suchen. Während viele Menschen Apathie und Orientierungslosigkeit befällt, stellt sich folgende Frage, die uns dieser Tage in Nairobi beschäftigen soll: Aus welcher Quelle leben wir? Aus welcher Quelle schöpfen wir Hoffnung?
Jahrhunderte vor Christus hat uns der Prophet Jesaja eine solche Quelle mit den folgenden Worten gezeigt: „Die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler“. (Jesaja 40,31)
Wie können wir diese Quelle in uns freilegen? Nicht etwa, indem wir der Gegenwart Gottes größere Aufmerksamkeit widmen? Genau dadurch können wir Hoffnung und Freude schöpfen. Indem wir Gott die Türen unserer Herzen öffnen, bereiten wir ihm einen Weg zu vielen anderen Menschen.
Ja, Gott ist in jedem Menschen gegenwärtig, sei er gläubig oder nicht. Auf den ersten Seiten beschreibt die Bibel in sehr schönen und poetischen Worten, wie Gott jedem Menschen seinen Lebensgeist schenkt. Sein Geist macht uns lebendig und lässt uns stellt uns auf unsere Füße.
Als Jesus an Weihnachten auf die Welt kam, offenbarte er Gottes grenzenlose Liebe für jeden Menschen. Dadurch dass er sich selbst bis ans Ende gab, hat er das „Ja“ Gottes zutiefst in die menschliche Natur eingeschrieben. Seit der Auferstehung Christi können wir an der Welt und uns selbst nicht mehr verzweifeln.
Seitdem ist uns Gottes Atem, der Heilige Geist, für immer gegeben. Durch seinen Geist, der in unseren Herzen wohnt, bejaht Gott was wir sind, selbst wenn wir uns als dessen nicht würdig erachten. Wir können die Worte des Propheten Jesaja nicht oft genug hören: „der Herr hat an dir seine Freude, und dein Land wird mit ihm vermählt.“
Nehmen wir also an, was wir sind und was wir nicht sind. Wagen wir es, sogar mit dem etwas zu schaffen, was nicht vollkommen ist! Selbst als Mühselige und Beladene empfangen wir unser Leben als Gabe und jeden Tag als ein Heute Gottes.
Hier in Afrika nehmen die leidvollen Prüfungen den Menschen nicht das Gespür für ihre Würde, die Schwierigkeiten nehmen dem Leben der Menschen nicht die Freude; auch ernste Situationen lassen Raum zu tanzen. Viele Menschen überlassen sich nicht der Hoffnungslosigkeit. Oft stehen die Frauen in der ersten Reihe; sie übernehmen viele Aufgaben in Familie und Gesellschaft; und sie tun das mit Erfindungsreichtum und Durchhaltevermögen.
Was können wir angesichts der Komplexität der Probleme um uns herum, angesichts großer Armut, Ungerechtigkeit und drohender Konflikte tun, um Hoffnung zu verbreiten? Welche Anstrengungen sind für uns möglich? Könnte es nicht heißen, auf andere ganz praktisch und in großer Einfachheit zuzugehen? Überschreiten wir die Abschottungen, die in unserer Gesellschaft bestehen! Lasst uns auf die zugehen, die Leiden! Besuchen wir, die zur Seite gedrängt und misshandelt werden!
Wir wollen, wo auch immer wir sein mögen, in schwierigen Situationen allein oder mit anderen nach aufbauenden Gesten suchen. So können wir die Gegenwart Christi sogar an Orten entdecken, wo wir sie nicht erwartet hätten. Der Auferstandene ist mitten unter den Menschen da. Er geht uns auf dem Weg der Barmherzigkeit voraus. Und durch den Heiligen Geist erneuert er schon jetzt das Angesicht der Erde.
Freitag, 28. November
Gestern habe ich davon gesprochen, wie sehr es darauf ankommt, die Gegenwart Gottes in unserem Leben wahrzunehmen. Aus ihr schöpfen wir die Hoffnung, die wir mit anderen teilen wollen. Sind wir uns bewusst, welchen Schatz die Bibel für uns darstellt, um die Gegenwart Gottes immer tiefer wahrzunehmen?
Vor nicht langer Zeit war ich drei Wochen in Rom. Ich war zu einer Synode eingeladen, zu der Bischöfe von allen Kontinenten zusammenkommen. Dort traf ich auch Kardinal Njue. Thema der Synode war die Bibel, das Wort Gottes, und sein Platz in unserem Leben. Wir hörten Berichte aus der ganzen Welt. Manche von ihnen waren wie wertvolle Perlen. Hier zwei Beispiele:
Ein Bischof von den Philippinen sprach über das Zuhören. Er sagte, dass wir lernen müssten zuzuhören, um das Wort Gottes besser zu verstehen. Er sprach davon, welch tragische Folgen es haben kann, wenn Menschen einander nicht zuhören: Konflikte in Familien, Gräben zwischen Generationen und Ländern, Gewalt… Er betonte, dass die Kirche ein Ort des Gesprächs und des Zuhörens sein kann.
Dann sagte der Bischof von den Philippinen etwas sehr beeindruckendes: „Gott spricht, aber er spricht nicht nur. Gott hört auch zu, besonders den Witwen, Waisen, Verfolgten und armen Menschen, die keine Stimme haben. Um Gottes Wort zu verstehen, müssen wir lernen, zuzuhören wie Gott.“
Ein anderer Bischof aus Lettland, einem kleinen Land in Nordeuropa, gab ein bewegendes Zeugnis. Er erzählte wie in seinem Land während der Sowjetzeit, die noch keine zwanzig Jahren zurück liegt, Priester und einfache Gläubige umgebracht wurden, weil sie das Wort Gottes verkündet hatten. Viktor, ein lettischer Pfarrer, wurde eines Tages verhaftet, weil er eine Bibel besaß. Ein Staatspolizist warf die Bibel auf den Boden und befahl dem Pfarrer, auf sie zu treten. Stattdessen kniete sich der Pfarrer nieder und küsste das Buch. Dafür wurde er zu zehn Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt.
Aus solchen Erzählungen versteht man, wie sehr die Bibel verehrt wurde, und wie sehr sie das Leben vieler Menschen verändert hat. Wir freuen uns, dass die Kirchen heute alles daran setzt, dass jeder Gläubigen eine Bibel hat. Und selbst wenn dies noch nicht der Fall ist, können wir in unseren Gemeinden zusammenkommen und gemeinsam überlegen, was dieser oder jener Text für unser Leben bedeutet.
Natürlich ist es nicht immer einfach, die Bibel zu lesen. Es gibt Stellen, die wir nicht verstehen. Manchmal sind wir auf die Hilfe von Fachleuten angewiesen, um zu verstehen, was wir lesen. Um uns den Weg zur Bibel zu vereinfachen, sind zwei Dinge besonders wichtig:
Erstens: Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, dass die Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten im Zentrum der Bibel steht. Für Jesus ist dies die Zusammenfassung der ganzen Schrift.
Faszinierend ist, dass die Bibel die ganze Geschichte dieser Liebe erzählt. Sie beginnt mit der Frische einer ersten Liebe, später kühlt sie ab, die Menschen werden untreu. Gott aber ist die Liebe niemals leid. Er eröffnet immer neue Wege, er sucht sein Volk auch weiterhin. Im Grunde genommen ist die Bibel die Geschichte der Treue Gottes. Einmal spricht er durch einen seiner Propheten: „Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht.“
Und zweitens: Durch die Menschwerdung Christi nimmt Gott an unserem Leben, an unserem Leben bis zum Tod teil. Christus trägt in sich Gottes ganze Botschaft. So kann das Evangelium auch sagen, dass Christus selbst das Wort Gottes ist. Wenn wir die Schrift lesen, begegnen wir Christus, wir vernehmen seine Stimme und treten in eine persönliche Beziehung mit ihm ein.
Deswegen singen wir in Taizé gerne Stellen aus der Schrift, wie auch hier während der gemeinsamen Gebete. Die ständig wiederholten Gesänge ermöglicht uns, ein Wort in uns aufzunehmen. Wir sind auch gerne für einen langen Moment in Stille zusammen. In der Stille kann ein Wort der Bibel in uns aufgehen und wachsen.
Manchmal behalten wir nur ein einziges Wort im Gedächtnis; es geht darum, es in die Tat umzusetzen. Dadurch erst verstehen wir es besser. Jeder kann sich die Frage stellen: Welches Wort hat mich während dieser Tage des Treffens besonders berührt, was kann ich davon in die Tat umsetzen?
Samstag, 29. November
Heute Abend möchte ich meinen von Herzen kommenden Dank für die Gastfreundschaft zum Ausdruck bringen, die wir hier in Nairobi erfahren haben. Wir möchten besonders den Familien, Ordensgemeinschaften und Kirchengemeinden danken, die ihre Türen aufgemacht haben, um uns aufzunehmen.
Dieses Treffen in Nairobi wollte dazu beitragen, brüderliche Beziehungen aufzubauen und falsche Vorstellungen von den anderen hinter uns zu lassen, die entstehen, wenn man keine Gelegenheit hat, sich zu begegnen, und aus den Wunden der Vergangenheit. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber in diesen Tagen haben wir die Freude entdeckt, Grenzen zu überschreiten und uns gegenseitig zu bereichern.
Die Gastfreundschaft der Christen von Nairobi hat uns die Kirche als Ort der Freundschaft wiederentdecken lassen, der allen offen steht. Morgen fahren wir wieder nach Hause. Wir möchten diese Freundschaft in unserem täglichen Leben weiter vertiefen.
Wir können alle aus der Freundschaft mit Christus leben. Nicht ohne Grund sagt er im Evangelium: „Ich nenne euch nicht mehr Diener, sondern Freunde.“ Er sagt zu jedem von uns: Du bist Gott nahe, und zwar für immer.
Selbst wenn unser Glaube nur sehr klein ist, selbst wenn wir immer wieder zweifeln, hört Gott doch niemals auf, unsere Freundschaft zu suchen.
Hier ist eine Ikone, die das zum Ausdruck bringt, die Freundschaftsikone. Sie entstand im sechsten Jahrhundert in Nordafrika, in Ägypten. Wir sehen darauf, wie Christus seinem Freund die Hand auf die Schulter legt, um mit ihm zu gehen, um bei ihm zu sein.
Jeder von uns kann sich in diesem Freund Christi wiedererkennen. Wir können uns dem auferstandenen Christus anvertrauen, obwohl wir ihn nicht sehen. Er hält sich an der Seite ausnahmslos jedes Menschen.
Diese Ikone zu betrachten, ist bereits ein Gebet, das uns in Gemeinschaft mit Gott bringt.
Und diese Freundschaft zu Christus leben wir auch untereinander. Christus führt uns in eine einzige Gemeinschaft zusammen, die Kirche, die die Familie Gottes ist. Wir wollen diese Freundschaft wachsen lassen und die Trennungen überwinden, die noch bestehen!
In Afrika suchen viele Menschen mutig und unablässig nach Versöhnung und Frieden, trotz der Spaltungen auf dem Kontinent. Für Christen ist ein Festhalten an dieser Hoffnung besonders wichtig: das Band der Taufe auf Christus ist stärker als alle Trennungen. Christen in Afrika haben mit ihrem Leben für diese Überzeugung des Glaubens bezahlt.
Wenn wir uns der Freundschaft Gottes für jeden Einzelnen von bewusst werden, finden wir neuen Mut, unsere Freundschaft auf alle auszuweiten, die uns anvertraut sind, vor allem zu den besonders verletzbaren Menschen. Die Kirche in Afrika ist oft besonders aufmerksam auf diejenigen, die ausgeschlossen oder verlassen sind.
Wir möchten eure Gastfreundschaft und euer Engagement für Gerechtigkeit mit Jugendlichen aller Kontinente teilen. Ende Dezember findet in Brüssel mit tausenden Jugendlichen ein Europäisches Jugendtreffen statt. Später wird es in Asien ein Jugendtreffen geben. Wir werden allen von eure Freundschaft erzählen.
Wir haben Nachbildungen der Freundschaftsikone für alle Länder Afrikas hergestellt, die hier vertreten sind.
Diese Ikone kann euch auf kleinen „Pilgerwegen des Vertrauens“ begleiten, wo Jugendliche zusammenkommen, von einer Stadt zur anderen, von einer Gemeinde zur nächsten, in einem Krankenhaus oder einem Waisenhaus, oder an anderen Orten, an denen Menschen leiden.
Auf diese einfache Weise könnt ihr die Frohe Botschaft des Evangeliums weitergeben und die missionarische Dimension unseres Glaubens leben. Die Ikone in eurer Nähe kann euch helfen, mit einem versöhnten Herzen zu kämpfen.
Heute seid vor allem ihr Jugendliche dazu berufen, die Freude des Evangeliums weiterzugeben. Vergesst nicht: Christus bittet um eure Freundschaft. Er legt den Heiligen Geist in euch, er geht euch voraus und ist immer an eurer Seite.