TAIZÉ

Bolivien Oktober 2009

Jugendtreffen in Santa Cruz de la Sierra, Cochabamba und El Alto

 
Zwei Brüder aus Taizé – einer von ihnen Bolivianer – besuchten während der letzten zwei Oktoberwochen drei Städte in Bolivien. Hier berichten sie von ihren Erfahrungen.

Santa Cruz de la Sierra

Wir trafen am Sonntag, dem 25. Oktober in Santa Cruz de la Sierra ein, der Hauptstadt des Distrikts Santa Cruz. Dies ist der größte und wirtschaftlich stärkste Teil Boliviens, reich an Rohstoffen wie Soja, Sonnenblumen, Zucker, Milch, Vieh, Holz und Gas. Allein diese Region erzeugt er 31% des Bruttosozialprodukts.

Seit dem 19. Jahrhundert kämpfte Santa Cruz für seine Unabhängigkeit, ein Kampf, der bis heute anhält. Gemeinsam mit den Distrikten Tarija, Beni und Pando fordern die „Crucenos“, wie die Bewohner der Region genannt werden , mehr Autonomie von der Zentralregierung. Die vier Distrikte zusammen nennt man „la media luna“ (Halbmond) nach der Form, die sie auf der Karte bilden. Was sie vereint, ist der Wunsch nach Unabhängigkeit von der westlichen Hochebene (dem Altiplano), in der hauptsächlich indigenen Völker leben und wo die politische Macht sich konzentriert.

Diese Gegensätze sind der Hintergrund der lange Geschichte politischer und sozialer Unruhen in Bolivien. Die Gegend des „media luna“ im Osten des Landes haben eine eigene Kultur und einen eigenen Dialekt des Spanischen, „camba“ genannt, von dem der zweite Spitznamen der Bewohner von Santa Cruz herkommt: Die „cambas“. Durch ihre wirtschaftliche Stärke können sie mehr Autonomie fordern.

Im Westen, dem Gebiet der „kollas“ – den Nachfahren der Aymara, die in den Distrikten La Paz, Oruro, Potosi, Chuquisaca und Cochabamba leben – existiert eine bunte Mischung verschiedener indigener und urbaner Kulturen. Es gibt mehr als 30 verschiedene ethnische Gruppen in Bolivien; die Aymara und Quechas sind die größten dieser „Ureinwohner“. Ihre Lebensweise und Werte sind völlig unterschiedlich von denen der „cambas“. Von Westen nach Osten zu fahren, ist wie die Reise in ein anderes Land.

Wo nehmen wir die Kraft für die Suche nach Versöhnung in solch einer Situation her? Für Christen ist das Gebet eine Quellen der Kraft. Im Gebet verstehen wir, dass Gott den ersten Schritt auf uns zu gemacht hat und dass er die Menschheit in seinem Sohn Jesus versöhnt hat. Jesus selbst nimmt unsere Wunden und alles, was uns trennt, auf sich. Unsere Spaltungen werden in ihm nebensächlich. So realisieren wir, wenn wir uns in schlichtem Gebet ihm zuwenden, dass wir geliebt und so angenommen werden, wie wir sind. Im Gegenzug ändert sich auch unser Blick auf andere. Wir sind nicht länger nur „cambas“ oder „kollas“. Ohne unser kulturelles Erbe zu verleugnen, werden wir fähig, den anderen als Geschenk Gottes und nicht als Gegner anzunehmen.

Daher wollten wir während unserer Besuche in Bolivien vor allem miteinander beten. In Santa Cruz kamen 200 Jugendliche aus verschiedenen Teilen der Stadt in einer Schulaula zu einem gemeinsamen Abendgebet der Versöhnung zusammen. Einige von ihnen hatten bereits am Jugendtreffen in Cochabamba im Oktober 2007 teilgenommen.

Cochabamba

Zum Abendgebet am 29. war die Kathedrale von Cochabamba voll von Jugendlichen. Tito Solari, der Erzbischof von Cochabamba, begrüßte sie sehr herzlich und brachte seine Dankbarkeit über ihre Anwesenheit zum Ausdruck.

Auch Pater Galo Fernandez, Diözesanjugendseelsorger von Santiago de Chile, sprach vor Beginn des Gebets zu den Jugendlichen. Er erinnerte an die 300 jungen Chilenen, die vor zwei Jahren in Cochabamba am Treffen teilgenommen hatten und voller Freude und Hoffnung nach Santiago zurückgekehrt waren. Der Empfang der bolivianischen Familien hatte die Herzen der Jugendlichen berührt. Sie hatten sich noch während des Treffens in Cochabamba zu einer konkreten Geste der Versöhnung entschlossen, und gingen während der Ländertreffen am Samstagnachmittag zu den bolivianischen Jugendlichen und baten sie um Vergebung für die Wunden, die ihnen in der Vergangenheit zugefügt worden waren.

Um diese Geste zu verstehen, muss man wissen, welchen Riss der Krieg zwischen Chile, Peru und Bolivien im Jahre 1879 hinterlassen hat. Bolivien hatte damals seinen Zugang zum Meer verloren. Bis heute verursacht dieser Verlust Spannungen zwischen den drei Ländern und die Chilenen werden in Bolivien als Feinde betrachtet, die ihnen das Meer gestohlen haben. Mit diesen Wunden der Geschichte werden noch heute Furcht und Vorurteile geschürt, um die Menschen weiterhin zu spalten. Wenn sie sich aber begegnen, verstehen sie schnell die Falschheit viele dieser Behauptungen. Versöhnung kann entstehen, wo wir einander in einem Raum des Vertrauens auf menschliche Weise begegnen. Für die Teilnehmer am Treffen in Cochabamba war dies eine sehr wichtige Erfahrung.

Pater Fernandez lud die Jugendlichen zu einem Treffen auf dem Pilgerweg des Vertrauens, das demnächst in Santiago de Chile stattfinden wird, ein. So wie die Chilenen von den Bolivianern aufgenommen wurden, würden nun die Chilenen ihre Gastfreundschaft anbieten wollen.

El Alto

Die letzte Station unseres kurzen aber intensiven Pilgerwegs durch Bolivien war El Alto, eine Stadt auf über 4100m über dem Meeresspiegel. Wir kennen diese Stadt sehr gut.

So wie Santa Cruz den Wunsch nach mehr Autonomie von der Zentralregierung in La Paz verkörpert, ist El Alto die Stadt, die volle hinter dem Präsidenten Evo Morales steht, den ersten Präsidenten aus der indigenen Bevölkerung in der Geschichte Boliviens. Viele der politischen Ereignisse in den Jahren 2003 und 2004, die letztlich zur Wahl von Evo Morales führten, geschahen in El Alto.

Das Gebet fand in der Gemeinde Jesus Obrero statt. Seit vielen Jahren kommen Jugendliche von dort nach Taizé.

Besonders ergreifend war die Schönheit der Gesänge auf Spanisch und Aymara. Das Evangelium wurde in verschiedenen lokalen Sprachen gelesen - wie jeden Samstagabend in Taizé der Bericht von der Auferstehung. Einer der anwesenden Jugendlichen sagte: „Es ist wichtig, dass wir die Auferstehung feiern. Wir haben so viele Probleme in unserem Alltag. Unser Land ist gespalten und wir wissen nicht, wie es nach den Wahlen im Dezember weitergeht. Die Auferstehung sagt uns, dass es mehr als das Sichtbare gibt. Das bedeutet nicht, vor den täglichen Schwierigkeiten davonzulaufen. Auch Jesus kannte den Schmerz und das Leiden des Kreuzes. Aber er erstand von den Toten. Er ist die Quelle unserer Hoffnung.“

Die Hoffnung auf Auferstehung und der Glaube, dass das Leben nicht mit dem Tod zu Ende geht, wurden während unserer letzten Tage in El Alto ganz greifbar, als wir das Fest Allerheiligen am 1. November dort feierten. Tief in der kulturellen Tradition der Indios verwurzelt, bereiten die Menschen in Bolivien am 1. November daheim zu Mittag eine „mesa“, was Tisch bedeutet, mit dem Bild eines geliebten Verstorbenen. Man glaubt, dass die Seelen der Verstorbenen ihre Familien zwischen dem ersten und zweiten November besuchen. Aus diesem Grund bleibt die Haustüre offen; nicht nur um die Seelen hereinzulassen, sondern auch für Verwandte und Freunde, die kommen, um vor dem „mesa“ für die Verstorbenen zu beten. Nach dem Gebet sind die Besucher zum Essen eingeladen.

Am Nachmittag des 2. November wird das verbliebene Essen mit zum Friedhof genommen, wo an den Gräbern mit Essen, Trinken und sogar Tanz gefeiert wird. Wir konnten mehrere Familien und den Friedhof von El Alto besuchen, um dort mit den Menschen zu beten. Einige unserer Begleiter sangen Gesänge aus Taizé.

Für die Menschen in Bolivien ist der Tod nicht das Ende des Lebens, sondern eine Reise, ein Durchgang. Auf ihre Weise haben die Bolivianer verstanden, was es bedeutet, Pilger des Vertrauens zu sein.

Letzte Aktualisierung: 28. November 2009

In Bolivien

2004 fand eine Etappe das Pilgerwegs des Vertrauens in El Alto statt. 2000 Jugendliche aus der Diözese und darüber hinaus nahmen daran teil.

Im Oktober 2007 trafen sich 7000 Jugendliche
aus über 25 Ländern in Cochabamba, einschließlich aus allen Ländern Lateinamerikas. In einem derart tief gespaltenem Land war die Tatsache, dass junge Bolivaner aller Schichten teilnahmen, ein klares Zeichen Der Versöhnung und des Friedens.

Im Brief aus Cochabamba, schrieb Frère Alois: „Das Feuer der Versöhnung können wir nicht eindämmen. Es erhellt einen Weg, auf dem wir in nah und fern zu Friedensstiftern werden.
Wenn wir begreifen, was Gott für uns vollbringt, werden unsere zwischenmenschlichen Beziehungen umgestaltet. Wir werden fähig zu unverfälschter Gemeinschaft mit den anderen, zu einem Austausch von Leben, bei dem wir geben und empfangen. Das Evangelium lädt uns ein, den ersten Schritt auf den anderen zuzugehen, ohne von vornherein auf Gegenseitigkeit zählen zu können.“