Olivier Clément

„Vertrauen wird das letzte Wort haben“

Als Schriftsteller, Theologe und Professor am Orthodoxen Theologischen Institut Saint-Serge in Paris bemühte sich Olivier Clément (1921-2009) insbesondere um die Annäherung zwischen dem christlichen Osten und Westen. Er war ein enger Freund der Communauté und schrieb 1997 ein Buch mit dem Titel „Taizé: Einen Sinn fürs Leben finden“. Hier einige Auszüge:

In Taizé arbeiten und beten Männer verschiedener, manchmal gegensätzlicher konfessioneller, ethnischer, kultureller und sprachlicher Herkunft zusammen – ja, das ist möglich, Christus reißt jede trennende Mauer ein. Die geschichtlichen und geographischen Unterschiede treten angesichts der vielfältigen Begabungen in den Hintergrund. Die Communauté ist wie ein summender Bienenstock. Manche Brüder widmen sich einer künstlerischen Arbeit, malen Bilder, manchmal Ikonen, stellen bewundernswerte Töpferwaren her, die den Alltag in ein anderes Licht rücken können. Andere übersetzen und drucken die wichtigsten Texte der christlichen Überlieferung. Sie lernen auch Fremdsprachen, um der internationalen Berufung von Taizé entsprechen zu können. Eine bescheidene, aber tief gelebte Verkündigung der versöhnten und verklärten Menschheit, zu der sich die Geschichte unter Schmerzen vortastet, eine Geschichte, deren undurchdringlich dunkle Stellen der Geist, der überall am Werk ist, aufhellt und deren schöpferische Leistungen er ins Licht rückt, ob in der Kunst, der Wissenschaft oder der Spiritualität.

Die Jugendlichen heute sind langer Reden (aber auch der Spötteleien) überdrüssig, sie haben Durst nach Unverfälschtem. Es hat keinen Zweck, ihnen etwas von Gemeinschaft zu erzählen, wenn man ihnen nicht - „Komm und sieh!“ - einen Ort zeigen kann, wo an der Gemeinschaft gearbeitet wird. Einen Ort, an dem man aufgenommen wird, wie man ist, ohne beurteilt zu werden, einen Ort, wo man sich nicht in dogmatischen Fragen ausweisen muss, und an dem dennoch nicht verborgen bleibt, dass man sich um Christus schart und dass dort für jeden, der es will, ein Weg beginnt – „Ich bin der Weg“, hat er gesagt.

Die Verbindung von tiefer geistlicher Erfahrung und schöpferischer Öffnung zur Welt bildet den Kern der Jugendtreffen in Taizé, die seit vielen Jahren unter dem Thema „Inneres Leben und Solidarität mit den Menschen“ stehen. Diese Art Christentum gilt es anzustreben, denn je mehr man zu einem Menschen des Gebets wird, desto mehr wird man zu einem verantwortungsbereiten Menschen. Wer betet, entledigt sich damit nicht der Aufgaben in der Welt, er verfeinert vielmehr seinen Sinn für Verantwortung. Nichts ist verantwortungsbewusster als zu beten. Das muss man unbedingt begreifen und den Jugendlichen begreiflich machen. Das Gebet ist keine Unterhaltungseinlage, es ist keine Art Sonntagsdroge, es bindet uns vielmehr in das Geheimnis des Vaters ein, in die Macht des Heiligen Geistes, vor einem Angesicht, jedes Gesicht für uns ergründet und uns schließlich zu Dienern jedes Gesichts, jedes Menschen macht.

Vertrauen ist ein Schlüsselwort in Taizé. Die Jugendtreffen, die die Communauté in Europa und auf anderen Erdteilen durchführt, sind Teil eines „Pilgerwegs des Vertrauens auf der Erde“. Das Wort mag unscheinbar, alltäglich und anspruchslos wirken, entscheidend ist es allemal. Man spricht lieber von Vertrauen als von Liebe (Agape) oder gar Gemeinschaft (Koinônia), vielleicht, weil das „große Wörter“ sind, und im Wort Vertrauen ist schon enthalten, wofür sie stehen. Im Vertrauen liegt das Geheimnis der Liebe, das Geheimnis der Gemeinschaft und letztlich das Geheimnis Gottes als Dreieinigkeit.

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