Damit alles ans Licht kommt

22. Oktober 2019 | Taizé, Versöhnungskirche

Vor genau einem Monat sind wir mit über 2000 Jugendlichen aus Afrika und darüber hinaus zu einem Jugendtreffen in Kapstadt in Südafrika zusammengekommen. Ich habe mich sehr gefreut in dieses Land zurückzukehren, das vor 25 Jahren der Welt gezeigt hat, welche Kraft der gewaltfreie Protests gegen die Apartheid hatte.

Aber man muss auch sagen, dass die Situation in Südafrika noch immer sehr komplex ist, besonders durch die Trennungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Die Südafrikaner verschiedener Hautfarbe haben unterschiedliche Lebensweisen und begegnen sich kaum. Die Stadtteile sind voneinander getrennt und es gibt wenige Brücken zwischen ihnen.

Dass in dieser Situation 1000 Familien mehr als 2000 Jugendlichen aus 31 Ländern ihre Türen geöffnet haben, ohne vorher zu wissen, woher ihre Gäste kommen würden, war ein starkes Zeichen. Auf beiden Seiten war Mut nötig, vonseiten der Gastgebenden ebenso wie vonseiten der Gäste.


Ich muss Euch jedoch auch sagen, dass uns, während wir mit großer Freude den „Pilgerweg des Vertrauens“ fortsetzen, in letzter Zeit eine dunkle Wirklichkeit beschäftigt und für mich ist es sehr wichtig, zu Euch heute darüber zu sprechen.

Im Zusammenhang mit Vorwürfen von sexueller Gewalt durch Brüder der Communauté an Minderjährigen in den 1950er- bis 1980er-Jahren haben wir in den letzten Monaten eine Suche nach Wahrhaftigkeit begonnen.

Wir haben diese Vorwürfe den Justizbehörden gemeldet und offengelegt. Aber vor Kurzem hat mir eine Frau in einem sehr bewegenden persönlichen Gespräch anvertraut, dass sie einen Bruder beschuldigt, sie seit mehreren Jahren manipuliert und geistlich, psychologisch und sexuell missbraucht zu haben.

Damit die Angelegenheit restlos aufgeklärt werden kann, habe ich umgehend die zuständigen Behörden darüber informiert. Vor einigen Tagen wurde der beschuldigte Bruder verhaftet und wegen „sexuellen Übergriffs und Vergewaltigung“ angeklagt; er befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft.

Wir müssen natürlich darauf warten, dass die Wahrheit festgestellt wird. Aber wir müssen auch in aller Klarheit sagen, dass – wenn sich die Vorfälle bestätigen – der betreffende Bruder das Vertrauen verraten hat, das ihm entgegengebracht wurde – das Vertrauen der betroffenen Person natürlich in erster Linie, aber auch das Vertrauen all derer, die zu uns kommen, und ebenso auch das Vertrauen von uns, seinen Brüdern.

Meine Brüder und ich sind schockiert und wir werden alles tun, um zur Aufklärung beizutragen. Ein derartiges Verhalten ist mit unserem Leben unvereinbar. Ich stehe an der Seite der betroffenen Person und wir werden alles uns Mögliche tun, um ihr zu helfen.


Ich habe mich entschieden, heute über diese sehr ernste Angelegenheit mit Euch zu sprechen, weil wir als Communauté alles tun wollen, damit Taizé für Euch ein Ort des Vertrauens bleibt, an dem sich jede und jeder von Euch so angenommen fühlt, wie er oder sie ist, und wo die Unversehrtheit jeder Person gewahrt wird.

So viele Menschen verschiedenen Alters entdecken oder vertiefen hier ihr Vertrauen in Gott und in die anderen! Aber wir müssen mit den Worten des Apostels Paulus bekennen, dass wir Brüder „den Schatz der Gegenwart Gottes in zerbrechlichen Gefäßen tragen.“

Wenn jemand von Euch persönlich über diese Angelegenheit sprechen möchte, stehen Brüder der Communauté und Schwestern, Priester und Pfarrerinnen zur Verfügung, um Euch hier in der Kirche zuzuhören.


Nun geht das Gebet weiter mit dem Gebet vor dem Kreuz, wie wir es normalerweise hier in Taizé am Freitag feiern. Wer möchte, kann zum Kreuz kommen, die Stirn auf das Holz des Kreuzes legen, und durch diese Geste Christus die eigenen Lasten und die Lasten anderer anvertrauen. So können wir diejenigen mit ins Gebet nehmen, die in ihrem Leben Schweres durchstehen müssen.

Heute Abend können wir besonders für all diejenigen beten, die Opfer eines Abhängigkeitsverhältnisses oder jeglicher Form von Gewalt sind. Wir können sie und uns selbst Christus anvertrauen, dem guten Hirten, im Vertrauen, dass er uns auch in unseren Nächten führt.



Foto: Cédric Nisi

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