TAIZÉ

Ukraine, April 2015

Ein Pilgerweg in der Osterzeit, zwischen Leiden und Hoffnung

 
Im April 2015 fand eine weitere Etappe des Pilgerwegs des Vertrauens in der Ukraine statt. Nach den Ostertagen in Moskau und zwei Tagen in Minsk (Weißrussland), brachen Frère Alois und vier Brüder der Communauté nach Kiew (Ukraine) auf. Gleichzeitig mit ihnen trafen dort Jugendliche aus den verschiedenen Landesteilen der Ukraine und aus ganz Europa ein. Anlass dieser Besuche war das Leiden der Menschen unter dem Krieg im Osten des Landes, aber auch die Hoffnung von Ostern. Hier ein Rückblick auf diese sechs gemeinsamen Tage.

JPEG - 17.5 kB

Die Vorbereitung des Pilgerwegs, ein Überschreiten von Grenzen

Mehrere Monate lang war eine Gruppe junger Freiwilliger am Werk, um diesen Pilgerweg in der Ukraine auf die Beine zu stellen:

Marina (Ukraine)

Der Pilgerweg des Vertrauens in Kiew wurde zwei Monate lang vorbereitet; ungefähr 50 Freiwillige hatten sich die Arbeit untereinander aufgeteilt: Empfang, Transport, Verpflegung, Unterbringung, Thementreffen und natürlich die gemeinsamen Gebete. Christen der verschiedenen Konfessionen haben dabei zusammengearbeitet, Grenzen verschwanden. Auch haben z.B. griechisch-katholische Jugendliche geholfen, in einer orthodoxen Kirche ein Treffen vorzubereiten. Sie taten dies mit so großer Umsicht, als würde es sich dabei um ihre eigene Gemeinde handeln. Für mich war dies ein großes sichtbares Zeichen der Einheit aller im Namen Christi.

Mittwoch, 15. April: Ankunft in Kiew

Vittorio und Daniele (Italien)

Am Montagnachmittag brachte uns Elena sofort nach unserer Ankunft in Kiew zu sich nach Hause und stellte uns ihrer Familie vor: Alexander, Lucia, die Großeltern und Lisa, ihre Nichte, die wegen des Krieges von Luhansk nach Kiew umziehen musste.
 
Man fühlte sich sofort wie zu Hause. Nach der langen Reise hätte niemand von uns gedacht, noch soviel Kraft zu haben, um noch so lange miteinander zu sprechen. Aber wir wurden gut verpflegt, nicht nur mit einheimischer Kost – von „Borschtsch“ bis „Wareniki“ – sondern auch geistlicher Art.
 
„Wir haben an der Revolution der Würde auf dem Maïdan teilgenommen. Dabei mussten wir uns abwechseln, damit immer jemand bei Lucia, unserer vierjährigen Tochter, war. Wir wollten sicher sein, dass immer jemand bei ihr war.“ Bei diesen Menschen haben wir verstanden, dass man schnell den Mut verlieren könnte, wenn man nicht auf das Gebet der Anderen vertraute.

Monique (Niederlande)

Die Gastfreundschaft der Menschen in der Ukraine ist beeindruckend. Ob in einem Kloster, bei Flüchtlingen oder in unserer Gastfamilie, überall wurden wir mit offenen Armen empfangen, mit strahlenden Gesichtern und mit viel Essen und Trinken. Für den letzten Abend haben wir mit unserer Gastmutter ein traditionelles Festmahl vorbereitet. Das wurde ein großer Moment der Geschwisterlichkeit.

Donnerstag, 16. April: Zwei orthodoxe Klöster und der Maïdan in Kiew

Wir trafen uns alle am Morgen an der tiefsten Metrostation der Stadt: „Arsenalna“:

Marie (Frankreich)

Am Donnerstagvormittag fuhren wir bei strahlendem Sonnenschein zum Höhlenkloster. Seminaristen warteten dort auf uns und zeigten uns einen Teil des riesigen Klosters. Goldene Kuppeln, smaragdfarbene Dächer und weiße, mit Fresken bemalte Wände… dies alles unter strahlend blauem Himmel.
 
Wir sind in einige der Höhlen hinabgestiegen, ín denen die Reliquien von Heiligen aufbewahrt werden. Die Kiewer Höhlenklöster beherbergen davon einen großen Schatz: 120 Heilige! Am Ende unseres Besuches verweilten wir einen Moment vor der Reliquie des Hauptes des heiligen Clemens, dem ersten Bischof von Rom nach Petrus. Die Begeisterung unseres Führers und seine vielen Erzählungen machten den Besuch zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Im Anschluss daran trafen wir uns zu einem ukrainischen Mittagessen in einer Studentenkneipe. Dann ging es weiter zu einer Begegnung mit den Philosophieprofessoren Konstantin Sigov aus Kiew und Alexander Filonenko aus Charkiw an der Mohyla Universität. Sie umrissen mit einigen einführenden Worten sehr gut verschiedene Aspekte der gegenwärtigen Situation im Land. Danach ging es weiter zu einem der bedeutsamsten Orte der jüngsten Geschichte des Landes, dem Maïdan-Platz .

Katja und Lena (Deutschland)

Auf dem Maïdan konnten wir mit Menschen sprechen, für die dieser Ort im vergangenen Jahr eine Stätte der Solidarität, der Hoffnung der Einheit des Gebets war. Wir stiegen auf den Hügel, auf dem etwa einhundert Personen – Alte und Junge – von Freischützen erschossen wurden, als die Situation außer Kontrolle geriet. Vor der ökumenischen Kapelle fand ein bewegendes Gebet zusammen mit einem griechisch-katholischen Bischof statt, bei dem wir an die „Himmlischen Einhundert“ dachten und, jeder, der wollte, konnte eine Kerze vor einem der Fotos aufstellen. Am beeindruckendsten war jedoch, dass die Menschen auf der Straße stehenblieben und sich unserem Gebet anschlossen.

Fokke (Niederlande)

Ich selbst erlebte die Auseinandersetzungen in der Ukraine in meiner eigenen Firma, als der Flug MH17 über der östlichen Ukraine abgeschossen wurde und 193 niederländische Staatsbürger ums Leben kamen. Ich musste im Gebet für die Opfer des Maïdan auch an all die anderen Menschen denken, die unter diesem Konflikt leiden.

JPEG - 25.1 kB

Gegen Abend machten sich alle in Richtung des Botanischen Gartens auf den Weg, dem letzten Treffen dieses intensiven Tages: eine Begegnung mit dem Abt des Klosters Dreifaltigkeit- St. Jonas, einem orthodoxen Bischof, Mönchen und orthodoxen Jugendlichen, die dort jeden Donnerstagabend zusammenkommen.

Renata (Russland)

Wir haben an einem Treffen Jugendlicher mit Mönchen des Klosters teilgenommen, das wöchentlich stattfindet. Das Treffen verlief in Form eines „Frage-Antwort-Dialogs“. Die Diskussion verlief sehr locker und angeregt. Die Mönche machten viele Späße und lachten viel und ich spürte keinerlei Graben zwischen uns. Für mich ist es sehr wichtig, dass Priester und Mönche zu den Menschen ungezwungen sprechen und eine harmonische Atmosphäre schaffen. Zwar meinten einige, die Diskussion sei nicht ernst genug gewesen, aber ich glaube, dass es verschiedene Formen der Begegnung braucht. Ich selbst hatte den Eindruck, dass die Mönche sehr geschickt von lustigen Bemerkungen zu ernsten Themen übergingen.

Freitag, 17. April: Ein Ausflug aufs Land

Im Bus fuhren die Teilnehmer von Kiew nach Lishniya, eine Stadt, die etwa 30 km außerhalb von Kiew liegt. Pater Philaret, der schon mehrmals in Taizé war, feierte dort einen Gottesdienst.

Matthijs (Niederlande)
Nach einer kurzen Nacht geht es weiter in das Dorf Lishniya. Für mich war es dort der zweite orthodoxe Gottesdienst und eine der besten Erfahrungen dieses Treffens.
 
Man hatte eine Übersetzung der Gebete vorbereitet, und so hatte ich den Eindruck, den Gottesdienst richtig mitfeiern zu können. Er fand in einer normalen Kirche und nicht in einer großen Kathedrale statt, was diesen Eindruck noch verstärkte. Weil die meisten von uns die Kommunion nicht empfangen konnten, wurde an alle gesegnetes Brot verteilt, wodurch wir uns vollkommen mit Christus verbunden fühlen konnten.

JPEG - 24.5 kB

Nach dem Gottesdienst hatten die alten Frauen der Gemeinde ein großes Essen für uns vorbereitet. Dann kam der orthodoxe Bischof Hilarion und machte sich mit uns in einer Prozession auf den Weg zu einer Quelle im Wald, die einige Kilometer von der Kirche entfernt lag. Dort segnete er an diesem Festtag der Muttergottes, Quelle des Lebens, jeden Einzelnen. Im Anschluss daran wurde unter den Bäumen auf einer Waldlichtung wieder festlich aufgetischt. Was für ein herzlicher Empfang!

Nach der Rückkehr stand ein Abendgebet und ein Gebet vor dem Kreuz in der griechisch-katholischen Auferstehungskathedrale auf dem Programm. Der griechisch-katholische Erzbischof Sviatoslav Shevchuk nahm auch daran teil und sprach zu den Brüdern und den Jugendlichen.

Samstag, 18. April: Verschiedene Besuche

Am Morgen ging es zunächst in die Kathedrale St. Sophia, einem geschichtlich sehr bedeutsamen Ort für die Kirche in Kiew, die in sowjetischer Zeit in einen Museum umfunktioniert worden war. Am frühen Nachmittag besuchten alle Teilnehmer in kleinen Gruppen verschiedene Menschen:
- Flüchtlingsfamilien aus der Krim und dem Donbas
- Verwundete Soldaten von der Front im Osten
- Die Schwestern von Mutter Teresa, die sich um Obdachlose kümmern
- Orthodoxes Seminaristen im Kiewer Höhlenkloster
- Die evangelisch-lutherische Gemeinde von Kiew
- Den früheren griechisch-katholischen Erzbischof, Kardinal Husar

Laurence (Frankreich)
Wir haben Flüchtlingsfamilien aus der Ostukraine und der Krim besucht. Trotz allem, was sie durchgemacht haben, und trotz der schwachen Hoffnung, dass sie jemals wieder in ihre Heimat zurückgehen könnten, hat mich ihr tiefes Gottvertrauen sehr beeindruckt, wie auch die Liebe und die Bereitschaft zu verzeihen, die sie ausstrahlen.
Elena (Litauen)
300 mehr oder weniger schwer verletzte Soldaten liegen derzeit im Militärkrankenhaus von Kiew. Nicht alle von ihnen sind bei Bewusstsein. Wenn man sie sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass sie noch immer ein Lächeln auf den Lippen haben und fröhlich sein können. Einer der Soldaten, die wir trafen, ist 21 Jahre alt und wurde von der Front hierher gebracht, um an einem Bein amputiert werden. Ich selbst werde in zwei Wochen 21 Jahre alt: im Vergleich zu ihm habe meine Augen wahrscheinlich noch wenig von den Dingen des Lebens gesehen! Ich werde wohl immer an diesen Besuch denken und werde mich immer wieder daran erinnern, mit einem offenen Herzen auf andere Menschen zuzugehen.
Simon (Schweden)
Ich komme aus einem Land, in dem es seit 200 Jahren keinen Krieg mehr gab. Der Besuch im Militärkrankenhaus, bei den verwundeten Soldaten, hat mich tief bewegt. Als ich die Fotos und Briefe sah, mit denen Kinder und Jugendliche aus der Ukraine versuchen, den Soldaten Mut zu machen, kamen mir die Tränen. Ich fragte einen der Offiziere, was wir Jugendliche tun könnten, um sie von zu Hause aus zu unterstützen. Er antwortete: „Ihr seid da. Das genügt!“

Am späten Nachmittag trafen sich alle Pilger in der orthodoxen Kathedrale der Verklärung Christi, wo ein Kinderchor ukrainische Volkslieder sang. Danach nahmen wir am gemeinsamen Abendgebet teil. Die Priester hießen uns sehr herzlich willkommen.

Nach einem letzten gemeinsamen Essen in der Gastfamilie war es Zeit, zum Hauptbahnhof aufzubrechen. Ein ganzer Waggon des Zuges Kiew-Lwiw war für uns reserviert worden, um uns in die galizische Hauptstadt im Westen des Landes zu bringen.


Sonntag, 19. April: Ein Tag in Lwiw

Nach einer Nacht im Schlafwagen, die nur sehr kurz war, weil die Diskussionen bis spät in die Nacht , weitergingen, wurden die Teilnehmer von einem großen Team Jugendlicher und von Familien der Stadt in den frühen Morgenstunden in einem Saal des Hauptbahnhofs von Lwiw empfangen. Nach dem Frühstück in den Familien verteilten sich alle auf die verschiedenen Gemeinden zum Sonntagsgottesdienst.

Auch hier wurden alle sehr herzlich empfangen. An vielen Orten bot einen Moment des geselligen Beisammenseins oder ein gemeinsames Mittagessen der ganzen Gemeinde Gelegenheit, die jungen Pilger kennenzulernen. Alle wollten mit uns sprechen.

Diese Zwischenstation in Lwiw war für manche der Jugendlichen eine Gelegenheit, die griechisch-katholische Kirche besser kennenzulernen:

Dainius (Litauen)
Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben an einem griechisch-katholischen Gottesdienst teilgenommen und damit diesen Teil der Kirche kennengelernt, der mir bis dahin unbekannt war. Ich hatte den Eindruck, der Glaube ist in Lwiw/Lemberg sehr lebendig. Die Gastfreundschaft der Menschen dort ist unbeschreiblich. So etwas habe ich noch nirgendwo in Europa erlebt.

JPEG - 31.1 kB

Alle Teilnehmer kamen in einer der großen Kirchen der Stadt zusammen, wo am Nachmittag ein Abschlussgebet stattfand. Viele Christen der Stadt kamen dazu, sodass der Platz in der Kirche nicht ausreichte und viele sogar auf der Straße standen.

Danach wurden die jungen Pilger von den örtlichen Jugendlichen zum traditionellen Fest „Gemeinsam die Freude der Auferstehung feiern“ eingeladen. Alle freuten sich, zum Abschluss dieses Pilgerwegs ihre Freude mit traditionellen Tänzen und Liedern mit allen zu teilen.

Letzte Aktualisierung: 28. Mai 2015