TAIZÉ

Stellungnahme von Frère Alois

Unser Bemühen um Wahrhaftigkeit

 

4. Juni 2019

In einer Zeit, in der man sich in Gesellschaft und Kirche darum bemüht, offen umzugehen mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt, insbesondere gegen Minderjährige und schutzbedürftige Personen, halten auch ich und meine Brüder es für geboten, uns zu äußern. Seit Jahrzehnten empfangen wir in Taizé Woche für Woche Tausende von Jugendlichen und ältere Menschen, aus Europa und der ganzen Welt.

Im Bewusstsein unserer Verantwortung und des Vertrauens, das uns die jungen Menschen mit ihren Familien und Begleitern entgegenbringen, ging es uns stets darum, dass die Jugendtreffen in Taizé unter bestmöglichen Bedingungen stattfinden, die Überzeugungen jedes Einzelnen geachtet und die Sicherheit und Unversehrtheit aller geschützt werden.

Dennoch ist es geschehen, dass die Unversehrtheit einzelner Teilnehmer an den Treffen verletzt wurde, unter Jugendlichen oder zwischen Jugendlichen und Erwachsenen. Wenn wir davon erfahren, achten wir stets darauf, den Opfern zuzuhören und darüber hinaus die zuständigen Justiz- und Kirchenbehörden zu informieren.

Als eine von mehreren Maßnahmen wurde im Jahr 2010 eine Internetseite mit Informationen zum Schutz von Personen sowie eine eigene E-Mail-Adresse eingerichtet, die es erleichtern soll, einen eventuellen Vorfall zu melden. In Taizé sind ein Bruder und mehrere Personen außerhalb der Communauté dafür verantwortlich, jedem zuzuhören, der von einem sexuellen Übergriff oder einer anderen Form von Gewalt, insbesondere gegen Minderjährige, Kenntnis hat. Dies ist Teil der Informationen, die alle Treffensteilnehmer bei ihrer Ankunft in Taizé erhalten.

Ich ergreife heute das Wort, weil ich mit großer Trauer von Fällen erfahren habe, in die Brüder der Communauté verwickelt waren. Obwohl diese Ereignisse lange zurückliegen, sind wir als Communauté überzeugt, darüber sprechen zu müssen: Es handelt sich um fünf Fälle sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige aus den 1950er- bis 1980er-Jahren durch drei Brüder, von denen zwei vor über 15 Jahren verstorben sind. [1]

Als ich von diesen Anschuldigungen erfuhr, habe ich als Erstes begonnen, zusammen mit einigen meiner Brüder, den Betroffenen zuzuhören, ihnen vorbehaltlos Glauben zu schenken, ihren Schmerz ernst zu nehmen und ihnen so gut wie möglich beizustehen.

In den vergangenen Jahren ist in Gesellschaft und Kirche erfreulicherweise ein tieferes Bewusstsein dafür entstanden, wie schwer jede Verletzung der Unversehrtheit einer Person wiegt. So verlangt mittlerweile das französische Recht, alle derartigen Vergehen – unabhängig davon, wann sie begangen wurden – zur Anzeige zu bringen.

Um unser Bemühen um Wahrhaftigkeit fortzusetzen, habe ich nach Rücksprache mit den Betroffenen die Staatsanwaltschaft über diese fünf Fälle in Kenntnis gesetzt.

Wir bekennen, dass auch diese in der Vergangenheit durch Brüder begangenen Übergriffe zur Geschichte unserer Communauté gehören. Diese Offenlegung ist Teil unserer Suche nach Wahrhaftigkeit, die damit begonnen hatte, dass wir den Betroffenen zuhören. Auch heute steht die Sorge um sie für uns im Mittelpunkt; wenn wir hören, was sie erlebt und erlitten haben, empfinden wir Scham und tiefen Schmerz. Diese Stellungnahme kann möglichen weiteren Opfern Mut machen, sich zu melden: Wir werden ihnen zuhören und sie bei den Schritten unterstützen, die sie unternehmen möchten.

Wir sind überzeugt, dass wir nur durch ein offenes Umgehen mit diesen Ereignissen und mithilfe von Personen außerhalb der Communauté dazu beitragen können, all jene wirksam zu schützen, die uns dadurch, dass sie nach Taizé kommen, ihr Vertrauen schenken. Diese Stellungnahme sind wir den Betroffenen schuldig, ihren Familien und allen, die in Taizé einen Ort des Vertrauens, der Sicherheit und der Wahrheit suchen.

Frère Alois

Jeder Übergriff gegen einen Minderjährigen oder einen Erwachsenen durch einen Bruder der Communauté unter Missbrauch seiner moralischen Autorität oder durch jede andere Person – unabhängig davon, wie lange der Vorfall zurückliegt – kann über die E-Mail-Adresse taize.safeguarding protonmail.com oder einem Opferschutzverein oder einem Opfertelefon im eigenen Land gemeldet werden. Näheres dazu auf der Internetseite.


Juli 2019

Im Anschluss an die Stellungnahme von Frère Alois am 4. Juni haben sich mehrere Personen unter der Adresse taize.safeguarding protonmail.com gemeldet. Aus diesem Grund hat Frère Alois der Staatsanwaltschaft zwei weitere Vorwürfe von sexueller Gewalt an damals Minderjährigen aus den 1960er- und 1970er-Jahren angezeigt, die einen Bruder der Communauté betreffen, der vor mehr als zwanzig Jahren gestorben ist, und einen weiteren Bruder, der die Communauté vor über vierzig Jahren verlassen hat. Außerdem wurden uns weitere Fälle von Missbrauch an schutzbefohlenen Volljährigen gemeldet, die einen in der Stellungnahme vom 4. Juni erwähnten, vor über fünfzehn Jahren verstorbenen Bruder betreffen.


Oktober 2019

Seit der Veröffentlichung der Stellungnahme „Bemühen um Wahrhaftigkeit“ vom 4. Juni dieses Jahres hat eine Frau vor Kurzem Frère Alois in einem persönlichen Gespräch anvertraut, dass ein Bruder der Communauté sie vor Jahren in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht hat. Sie beschuldigt ihn, sie bis Mitte dieses Jahres geistlich, psychologisch und sexuell missbraucht zu haben. Ihrer Darstellung gemäß begann dies im Jahr 2003, als sie als junge Erwachsene an den internationalen Treffen in Taizé teilnahm.

Frère Alois hat umgehend die zuständigen Behörden in Kenntnis gesetzt. Die Aussagen der betroffenen Person wurden von der Polizei aufgenommen. Gegen den beschuldigten Bruder wurde wegen „Sexuellen Übergriffs und Vergewaltigung“ Anklage erhoben; er befindet sich gegenwärtig in Untersuchungshaft. Die Justiz muss nun die Tatsachen feststellen und juristisch beurteilen.

Frère Alois stellt klar: „Meine Brüder und ich sind schockiert. Wir werden alles tun, um die Aufklärung zu unterstützen. Ein derartiges Verhalten ist mit unserem Leben unvereinbar. Ich stehe an der Seite der betroffenen Person und wir werden alles uns Mögliche tun, um ihr zu helfen.“

Wie schon bei der Veröffentlichung der Stellunnahme „Bemühen um Wahrhaftigkeit“ erinnert die Communauté daran, dass ein eventueller Missbrauch auf verschiedenen Wegen gemeldet werden kann, unter anderem über die E-Mail Adresse: taize.safeguarding protonmail.com


März 2020

Im Juni des vergangenen Jahres haben wir mehrere Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe offengelegt. Zwei davon betreffen einen Bruder der Communauté, der noch lebt. Seit dieser ersten Stellungnahme hat die Communauté weitere Aussagen gegen denselben Bruder erhalten, die ebenfalls sexuelle Berührungen von Minderjährigen betreffen. Diese Aussagen wurden der zuständigen Untersuchungsbehörde weitergeleitet.

Es ist allein Sache der Justiz, die Vorwürfe rechtlich zu bewerten und festzustellen, inwiefern sie nach so langer Zeit juristisch noch relevant sind. Aber die Aussagen der Betroffenen stehen außer Zweifel; auch nach all den Jahren leiden sie darunter. Angesichts der Schwere der Vorwürfe und ihrer Unvereinbarkeit mit dem Lebensengagement der Brüder der Communauté, hat Frère Alois diesem Bruder mitgeteilt, dass es besser sei, die Communauté zu verlassen. Er wird außerhalb von Taizé leben. Wegen seines Alters wohnt ein Bruder bei ihm und andere begleiten ihn in diesem Abschnitt seines Lebens.

Frère Alois sagt dazu: „Mir ist bewusst, wie viel wir Brüder ihm verdanken. Dies ist für uns ein tiefer Schmerz. Ich hoffe, dass diese Entscheidung, deren Tragweite und Bedeutung mir bewusst ist, uns – und auch ihm – hilft, diesen Weg der Wahrheit weiterzugehen.“


Juni 2020

Im vergangenen Oktober wurde ein Bruder in Untersuchungshaft genommen (siehe obige Notiz vom Oktober 2019) und Anfang Mai dieses Jahres unter Auflagen freigelassen. Die Untersuchung geht bis zu einer gerichtlichen Entscheidung weiter. Unabhängig davon und im gegenseitigen Einvernehmen mit ihm wurde beschlossen, dass er nicht länger der Communauté angehört.


November 2022

Frère Alois, Prior der Communauté von Taizé, traf im Januar Antoine Garapon, den Vorsitzenden der in Frankreich kurz zuvor eingesetzten unabhängigen Kommission „Anerkennung und Wiedergutmachung“. Diese Kommission ist zuständig für Personen, die von Übergriffen durch Ordensleute in der Kirche betroffen sind. Herr Garapon erklärte sich bereit, die Vorwürfe gegen Brüder der Communauté zu behandeln, und benannte dazu zwei Mitglieder der Kommission. Jede/r kann sich direkt per E-Mail oder über die Internetseite an diese wenden. [2]

Außerdem wurde eine unter der E-Mail-Adresse taize.safeguarding protonmail.com eingegangene Aussage einer betroffenen Person an die Staatsanwaltschaft in Mâcon weitergeleitet, die einen ehemaligen Bruder der Communauté belastet, der mehrerer sexueller Übergriffe beschuldigt wird. (Siehe die Stellungnahme von Frère Alois vom Juni 2019 und den Zusatz vom März 2020).

Zudem hatte die Communauté ein unabhängiges Team von vier Personen für Anfang November nach Taizé eingeladen, um die von der Communauté zum Schutz von Personen in Taizé unternommenen Schritte zu beurteilen und entsprechende Empfehlungen zu geben.


Mai 2023

Im Bezug auf die im „Zwischenbericht 2019-2022 zum Schutz von Personen in Taizé“ vom Dezember 2022 auf Seite 6/19 erwähnten Meldung (verfügbar unter https://www.taize.fr/protection) haben sich vor Kurzem in Zusammenarbeit mit der „Kommission Anerkennung und Wiedergutmachung“ Frère Alois, der betreffende Bruder und die Geschädigte auf verschiedene Komponenten der Anerkennung des entstanden Schadens geeinigt. Es wurde vereinbart, dass sich die Communauté von Taizé dazu verpflichtet, dass der beschuldigte Bruder für die kommende Zeit seine psychologische Betreuung fortsetzt und seine pastorale Arbeit in Taizé und andernorts ausgesetzt bleibt.

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Letzte Aktualisierung: 21. November 2022

Anmerkungen

[1Siehe dazu die Stellungnahme vom März 2020

[2Diese Seite wird aktualisiert, falls bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet wird oder auf Bitte der Kommission „Anerkennung und Wiedergutmachung“.

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