Frère Rudolf wurde 1936 in Deutschland in einer Pfarrersfamilie in Hamburg geboren. Seine Kindheit war tief von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsjahre geprägt. Schon als Jugendlicher reiste er viel, zuerst mit dem Fahrrad durch Deutschland und dann per Anhalter von England über Italien und Jugoslawien bis nach Griechenland, wo er den Berg Athos besuchte. Nach seinem Theologiestudium, unter anderem in Heidelberg, arbeitete er als Pfarrer im Praktikum in Hamburg, bevor er 1962 in die Communauté von Taizé eintrat. Dort legte er an Ostern 1966 sein Lebensengagement ab.
1965 begann Frère Rudolf seine Besuche jenseits des Eisernen Vorhangs, zuerst in Ungarn, dann in der DDR, der Tschechoslowakei und Rumänien, wo er ein Netz von Freundschaften mit Christen verschiedener Kirchen knüpfte. In den 1960er und 1970er-Jahren war er maßgeblich an den Jugendtreffen in Taizé und an der Organisation der ersten Europäischen Jugendtreffen beteiligt. 1983 reiste Frère Rudolf nach Afrika, wo er für einige Monate mit den Brüdern in Mathare Valley, einem Slum in Nairobi, lebte. 1985 schloss er sich den Brüdern in Seoul, Südkorea, an und besuchte die Brüder in Japan.
1987 ging Frère Rudolf in die Fraternität nach Alagoinhas im Nordosten Brasiliens, im Bundesstaat Bahia. Dort teilte er über dreißig Jahre lang das Leben der Ärmsten der Armen, bevor er 2020 aus gesundheitlichen Gründen nach Taizé zurückkehrte. In Brasilien widmet er seine ganze Energie den Kindern des Arbeiterviertels, in dem die Brüder leben. Frère Rudolf organisierte die „Brincadeira“, in der die Kinder mit Unterstützung brasilianischer und auch anderer Freiwilliger in einem Raum des Vertrauens, des Spielens und der Bildung aufgenommen werden. Er besuchte deren Familien, die oftmals zerrüttet sind, und wurde Zeuge der Gewalt, die viele von ihnen erleiden und die oft tödlich endet.
Nach seiner Rückkehr nach Taizé hielt Frère Rudolf die Verbindung zu vielen Freunden aufrecht. Er dachte weiter über die Zukunft der Kirche nach. Einige Monate vor seinem Tod veröffentlichte er noch ein Heft mit dem vielsagenden Titel „The Faith of the Poor“ (Der Glaube der Armen), das auf seinen Erfahrungen im Leben unter den Allerärmsten beruhte.