TAIZÉ

Für diesen Monat

Gedanken zur Bibel

 
Mit den „Gedanken zur Bibel“ kann man mitten im Alltag, allein oder mit anderen, Gott suchen. Jeder nimmt sich mit dem vorgeschlagenen Text, dem Kommentar und den Fragen eine Zeit der Stille. Danach treffen sich alle zum Austausch. Davor oder danach kann ein gemeinsames Gebet stehen.

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2023

Dezember

Jakobus 1,27–2,9: Lasst euch nicht von der Welt anstecken


Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vom Treiben dieser Welt nicht anstecken zu lassen. Meine Brüder und Schwestern, haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person. Wenn in eure Versammlung ein Mann mit goldenen Ringen und prächtiger Kleidung kommt, und zugleich kommt ein Armer in schmutziger Kleidung, und ihr blickt auf den Mann in der prächtigen Kleidung und sagt: „Setz dich hier auf den guten Platz!“, und zu dem Armen sagt ihr: „Du kannst dort stehen!“, oder: „Setz dich zu meinen Füßen!“, – macht ihr dann nicht untereinander Unterschiede und fällt Urteile aufgrund verwerflicher Überlegungen? Hört, meine geliebten Brüder: Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Ihr aber verachtet den Armen. Sind es nicht die Reichen, die euch unterdrücken und euch vor die Gerichte schleppen? Sind nicht sie es, die den hohen Namen lästern, der über euch ausgerufen worden ist? Wenn ihr dagegen nach dem Wort der Schrift: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“, das königliche Gesetz erfüllt, dann handelt ihr recht. Wenn ihr aber nach dem Ansehen der Person urteilt, begeht ihr eine Sünde, und aus dem Gesetz selbst wird offenbar, dass ihr es übertreten habt.
(Jakobus 1,27–2,9)

Nächstenliebe ist der Schlüssel zu einem richtig verstandenen und gelebten Christentum. Jakobus fasst es wie folgt zusammen: Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vom Treiben dieser Welt nicht anstecken zu lassen. (Jakobus 1,27)

Jakobus warnt uns davor, uns von der Welt anstecken zu lassen. Was bedeutet das? Die Welt ist hier nicht als geografischer Ort zu verstehen, sondern als Geisteszustand. Die „Welt“ bewertet die Menschen, und zwar oft nach oberflächlichen Kriterien.

Vers 2,1 lässt sich nicht so einfach übersetzen. Eine treffende Übersetzung könnte sein: Meine Brüder und Schwestern, findet nicht in äußeren Zeichen den zuverlässigen Beweis für die Herrlichkeit, die unser Herr Jesus Christus uns verliehen hat. Das griechische Wort „in den äußeren Zeichen finden“, das oben mit „frei von jedem Ansehen der Person“ übersetzt wurde, enthält das Wort prosôpon, das unter anderem „die Maske“ bedeutet, die von Schauspielern im Theater getragen wird. Jakobus nennt im nachfolgenden Vers zwei Beispiele für diese äußeren, aber oberflächlichen Zeichen: das glitzernde Gewand und der Glanz des goldenen Rings.

Wenn wir uns von der Welt anstecken lassen, lassen wir unsere Augen von Gold und Reichtum blenden, manchmal sogar wortwörtlich. Dann werden wir unseren Bruder oder unsere Schwester, der oder die glänzt und eine schöne Maske trägt, besser behandeln und den weniger wohlhabenden Bruder oder die weniger wohlhabende Schwester schlechter. Dies ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Gotteslästerung (Jakobus 2,7).

Diese Haltung ist das Gegenteil von der Haltung Gottes, für den jeder und jede Einzelne zählt. „Andere wie sich selbst zu lieben“ ist ein Aufruf, andere mit den Augen Gottes zu sehen, der zu allen Menschen ohne Ausnahme sagt: Du bist wertvoll in meinen Augen, du bist wertvoll und ich liebe dich. (Jesaja 43,4) Die Urteile, die nach den Maßstäben der Welt gefällt werden, sind blind und verhindern diesen Blick.

Gott liebt alle Menschen, besonders die Armen. Natürlich ist die Aussage „alle sind gleich, besonders die Armen“ ein Paradoxon. Es ist so, dass der „Geist der Welt“ allgegenwärtig ist. Es ist fast unmöglich, ihn loszuwerden. Gott sagte zu Jesaja: Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege. (Jesaja 55,8) Nicht mehr in menschlichen Kategorien zu denken, sondern andere so zu sehen, wie Gott sie sieht, erfordert ständige Aufmerksamkeit und ganz bestimmt auch eine „gute Dosis“ Heiligen Geist.

In der Nachfolge Christi sind wir also dazu aufgerufen, die Ungerechtigkeit der „Welt“ auszugleichen, indem wir vor allem darauf achten, dass die Armen nicht herabgesetzt werden. Richard Bauckham, ein englischer Bibelwissenschaftler, fasst dies wie folgt zusammen:

„Gottes väterliche Fürsorge für die Armen (Psalm 68,6–7) ist mit Gerechtigkeit verbunden. Er sorgt für Gerechtigkeit für diejenigen, denen sie von den Mächtigen vorenthalten wird, die von den Reichen ausgenutzt werden. (Psalm 146,7–9; Hiob 5,15f.) Mit anderen Worten: Gottes Unparteilichkeit erfordert gerade sein spezifisches Handeln zugunsten der Armen. Beachten wir, dass im Jakobusbrief die Armen (nicht mehr als überall sonst in der Bibel) nicht als bloße Unglückliche betrachtet werden, sondern als diejenigen, die von den Reichen ungerecht behandelt wurden (Jakobus 2,6;5,4).“

Halten wir fest, dass man keineswegs reich sein muss, um wie ein Reicher zu denken. Das Problem ist nicht so sehr die Menge an Reichtum, sondern die Geisteshaltung, die darin besteht, Menschen nach ihrem Reichtum oder anderen äußeren Merkmalen zu bewerten.

Sich nicht von der Welt anstecken zu lassen, ist also kein Aufruf zur Isolation, zum Rückzug in eine Zitadelle der „Reinen“. Es handelt sich vielmehr um eine Ermahnung, auf den anderen zuzugehen. Die Welt urteilt oft nach dem äußeren Anschein; ein Christ sollte in der Lage sein, nicht dabei stehenzubleiben, sondern tiefer zu blicken. Denn jenseits der oberflächlichen Kategorien der Gesellschaft steht die Aufforderung, jeden Menschen als meinen Bruder oder meine Schwester anzuerkennen.

- Nehme ich Menschen aufgrund ihres Aussehens wichtiger als andere oder werte ich sie von vornherein ab?

- Wie kann ich die Stimme in mir zum Schweigen bringen, die den Reichen, Einflussreichen und Erfolgreichen eine größere Aufmerksamkeit schenkt?

- Habe ich schon einmal bewusst gegen den Strom der Welt gehandelt, im Namen der Liebe Gottes zu den Schwachen, Ausgegrenzten und Verletzlichen?



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Letzte Aktualisierung: 1. Dezember 2023