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Lassen wir uns von der Angst nicht lähmen!
Auf der ganzen Welt sind Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die Not in ihren Ländern ist zu groß, als dass Grenzanlagen sie aufhalten könnten. Ich habe die Situation in Syrien vor wenigen Wochen mit eigenen Augen gesehen. Das Ausmaß der Zerstörung von Homs ist unvorstellbar, ein Großteil der Stadt liegt in Ruinen. Man geht durch eine Geisterstadt, deren Menschen jede Hoffnung verloren haben.
Heute sind es die politischen Verhältnisse, morgen wird es die Klimaveränderung sein, die den Menschen das Leben in ihren Ländern unmöglich macht. Diese Entwicklung ist nicht ohne Weiteres umkehrbar. Sich dies nicht einzugestehen, wäre äußerst kurzsichtig. Die Flüchtlingsströme müssen gesteuert werden, aber sie aufhalten zu wollen – auch mit Stacheldraht und immer höheren Mauern – wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Eine europäische Zusammenarbeit ist dafür unerlässlich. Andernfalls würden wir aufgeben, was ein zusammenwachsendes Europa in siebzig Jahren erreicht hat.
Die gegenwärtige Situation macht Angst. Und diese Angst wird nicht verschwinden, indem wir sie verharmlosen oder leugnen. Nein, aber wir dürfen uns von ihr auch nicht lähmen lassen! Wenn wir der Fremdenfeindlichkeit nicht entschieden entgegentreten, kann die Menschenverachtung in unseren Gesellschaften Wurzeln schlagen.
Der erste Schritt muss für die reichen Länder der nördlichen Hemisphäre sein, sich ihre Mitverantwortung vor Augen zu führen, die sie am Entstehen der ungeheuren Wanderungsbewegungen tragen, vor allem in Afrika und dem Nahen Osten. Aber nicht nur in der Vergangenheit wurden Fehler gemacht; auch heute noch werden Entscheidungen getroffen, die die Stabilität dieser Regionen untergraben. In einem zweiten Schritt müssen dann Wege gesucht werden, wie wir mit unserer Angst vor dem Unbekannten, vor Fremden und ihren Kulturen, umgehen können. Zuwanderung hat unsere westlichen Gesellschaften im Laufe der Geschichte immer wieder verändert, und vieles, was unser Leben heute bunter macht, möchten wir alle nicht mehr missen. Aber diese Veränderungen werden noch zunehmen und wir müssen mit Mut das Neue, das auf uns zukommt, integrieren.
Die unzähligen Helfer, die beruflich oder ehrenamtlich bei der Aufnahme und der Integration arbeiten, gehen oft bis an die Grenzen ihrer Kräfte. Durch ihren Einsatz zeigen sie, wie ein konkreter Weg aussehen kann. Anstatt in den Fremden eine Bedrohung unseres Lebensstandards oder unserer Kultur zu sehen, können wir in ihnen Angehörige ein und derselben Menschheitsfamilie sehen. Dann kann sich zeigen, dass der Zustrom von Flüchtlingen und Einwanderern – trotz der manchmal unüberwindbar scheinenden Schwierigkeiten und Probleme – eine Chance darstellt. Auch wenn auf diesem Gebiet Prognosen nur schwer möglich sind, deuten selbst wissenschaftliche Untersuchungen auf die positiven Auswirkungen der Zuwanderung hin, vor allem in demographischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Werden diese positiven Seiten genügend beachtet? Die Menschen, die an die Türen der reicheren Länder klopfen, verlangen nach Solidarität. Verhelfen sie unseren Ländern nicht auch zu einem neuen Elan!
Wir haben in den letzten Monaten in Taizé Erfahrungen in dieser Richtung gemacht. Unser Beitrag ist zwar bescheiden und findet in einem überschaubaren Rahmen statt, aber er ist konkret: Im November des vergangenen Jahres haben wir in Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen eine Gruppe von elf jungen Flüchtlingen bei uns aufgenommen. Sie stammen aus dem Sudan – vor allem aus Darfur – sowie aus Afghanistan und waren zunächst einige Zeit im „Dschungel von Calais“. Ihre Ankunft in unserem kleinen Dorf hat in der Umgebung eine beeindruckende Welle der Solidarität ausgelöst: Menschen sind bereit, ihnen unentgeltlich Französischunterricht zu geben, Ärzte behandeln sie kostenlos, Nachbarn zeigen ihnen die Umgebung … Solche Gesten der Freundschaft helfen, das Dramatische, das diese jungen Menschen hinter sich haben, zu verarbeiten, zur Ruhe zu kommen und neuen Mut zu fassen. Aber es sind auch diejenigen bereichert, die sich um sie kümmern: Für viele ist es der erste persönliche Kontakt mit Muslimen, und das verändert den Blick.
Eine Erleichterung ist dabei die Tatsache, dass in Taizé bereits eine Reihe von Familien aus verschiedenen Ländern leben – aus Vietnam, Laos, Bosnien, Ruanda, Ägypten, dem Irak – einige schon seit Jahrzehnten. Demnächst kommt eine Familie aus Syrien dazu. Sie alle wissen, was es bedeutet, alles zurücklassen und in einer völlig anderen Umgebung von vorne anfangen zu müssen. Aber durch ihre kulturelle Verschiedenheit bringen sie Leben in unser Dorf.
Eine solche Erfahrung ist nicht nur uns vorbehalten. Gibt es nicht überall viel mehr Hilfsbereitschaft als man gemeinhin annimmt? Fremdenfeindlichkeit ist nicht so weit verbreitet wie es manchmal den Anschein hat. Meist sind es Unkenntnis und Hilflosigkeit, mit der wir vor dem uns Unbekannten stehen, was Ablehnung und Gewalt auslöst. Wo man sich persönlich begegnet, kommt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit auf; man wird fähig, sich in den anderen hineinzuversetzen und es entsteht Empathie. Dieser Weg ist nicht leicht. Man muss lernen, miteinander umzugehen, die Erwartungen des Einen mit der des Anderen in Einklang zu bringen und auch mit Enttäuschungen zu leben – aber es ist der einzig mögliche Weg in eine Zukunft in Frieden.
Wenn man sich den Herausforderungen der Ankunft von so vielen Flüchtlingen gemeinsam stellt und Ängste nicht noch schürt, könnten die Länder Europas und die Europäische Union als Ganze eine Dynamik wiederfinden, die im Laufe der Jahre verlorengegangen ist. Bietet sich hier nicht eine Chance, den Bürgern eine konkrete Verantwortung zu übertragen und sie noch direkter an der Gestaltung unserer Gesellschaft zu beteiligen!
Viele junge Europäer suchen diese Offenheit. Dies stellen wir tagtäglich in Gesprächen mit den Jugendlichen fest, die von allen Kontinenten zu den internationalen Jugendtreffen nach Taizé kommen. In ihren Augen hat ein vereintes Europa nur dann Sinn, wenn es auch Solidarität mit den anderen Kontinenten und mit den ärmeren Ländern der Erde zeigt.
All diese jungen Menschen haben keinerlei Verständnis dafür, dass Grenzen geschlossen werden. Sie verlangen, dass die wirtschaftliche Globalisierung mit einer weltweiten Solidarität einhergeht. Vor allem muss dies darin zum Ausdruck kommen, dass verantwortlich gehandelt und den Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Not fliehen, ihre Würde wiedergegeben wird. Dies kann nur durch ein persönliches Engagement gelingen, und dazu sind auch viele bereit!