TAIZÉ

Albanien

 
Gott kann uns mitteilen, was er von uns erwartet

Ein Bruder erzählt: Hinter mir liegt eine zehntägige Besuchsreise in Albanien. Es war wichtig, dieses Land zu besuchen, um die Jugendlichen dort besser zu verstehen, die den Sommer über zu uns nach Taizé und am Jahresende zu den Europäischen Treffen kommen, zumal der letzte Besuch eines Bruders der Communauté schon mehrere Jahre zurückliegt. Aber auch den jungen Albanern selbst liegt viel daran, Besuch zu empfangen, da in Europa kaum jemand Interesse dafür zeigt, wie es bei ihnen im Land weitergeht.

Albanien ist ein sehr schönes Land; klein, aber mit allem was man sich wünschen kann: Berge und Meer, eine sehr abwechslungsreiche Landschaft und viele Zeugnisse einer großen kulturellen Vergangenheit!

Immer wieder fällt die noch allgegenwärtige kommunistische Vergangenheit Albaniens ins Auge, überall Bunker – man schätzt, daß es 800 000 davon gibt –, die wie Pilze aus dem Boden ragen, in den Städten, den Dörfern und sogar mitten in der Landschaft. Auch die Kirche und besonders die Jugendlichen sind noch tief von dieser Vergangenheit geprägt.

Ich hatte meinen Besuch im Norden des Landes begonnen, in Skutari, einer geschichtlich bedeutsamen Stadt, die jedoch vom Regime völlig vernachlässigt worden war. Die Straßen dort sind in einem so miserablen Zustand, daß die Pfarrer nur im Geländewagen in die umliegenden Dörfer kommen. Ich habe einen von ihnen kennengelernt, der zwölf Jahre im Gefängnis saß. Er meint, noch ganz gut davongekommen zu sein im Vergleich zu all den Priestern und Ordensleuten, die in den letzten Jahrzehnten ihr Leben verloren haben.

In Skutari war ein Wochenendtreffen mit Jugendlichen aus ganz Albanien vorbereitet worden. Dreihundert waren aus den verschiedenen Gegenden des Landes gekommen, um von Freitag bis Sonntag drei „Tage wie in Taizé“ zu verbringen. Für die gemeinsamen Gebete hatten sie einen Saal umgestaltet und in eine Kapelle verwandelt, Bibeleinführungen und Austausch in kleinen Gruppen; es war ein bewegendes Treffen. Man braucht viel Zeit und muß zuerst selbst lange reden, bevor die jungen Albaner anfangen, von sich und ihrem Leben zu erzählen. Am Abend kamen sie dann und es ergaben sich erstaunlich tiefe Gespräche. Man merkt, wie sehr sie auf der Suche sind und darauf warten, daß man ihnen Mut macht.

Die Mehrheit des Landes ist moslemisch, wenn auch nur wenige ihren Glauben praktizieren. Die Christen stellen 30% der Bevölkerung, davon sind zwei Drittel orthodox und ein Drittel Katholiken.

Ich habe junge Orthodoxe wiedergetroffen, die an der orthodoxen theologischen Fakultät unterrichten und letztes Jahr in Taizé waren, sowie einen orthodoxen Bischof. Wir kamen auf die Jugendlichen zu sprechen und auf ihre Suche nach einem Sinn für das Leben, nach Orientierung, nach einer Berufung. Er fragte mich: „Was bekommen die Jugendlichen dazu in Taizé gesagt?“ Ich habe ihm erklärt, daß wir keine Antworten geben und daß es in erster Linie darum geht, den Jugendlichen Mut zu machen. Gott kann uns mitteilen, was er von jedem einzelnen von uns erwartet. Daraufhin schaute der Bischof mich erstaunt an und fragte: „Das sagt ihr den Jugendlichen?“ Dies hörte sich so an, als ob er mit meiner Antwort nicht einverstanden war; ich begann zu schwitzen und sagte: „Ja.“ Doch er antwortete: „Das ist sehr gut! In Albanien hat man den Menschen zu lange vorgeschrieben, was sie tun sollen und was nicht, was sie glauben sollen und was nicht.“ Er hatte verstanden, wie wichtig es für die Jugendlichen ist, sich im Glauben persönlich auf die Suche zu machen; man kann nicht darauf warten, die Antworten von anderen zu bekommen. Der Bischof fuhr fort: „Die jungen Menschen müssen verstehen, daß sie selbst beschenkt werden, wenn sie sich für andere einsetzen und uneigennützig etwas von ihrer Zeit opfern. Sie bekommen etwas zurück, gerade dort, wo sie es nicht erwarten.“ Zum Abschluß betonte er noch einmal, wie wichtig es ist, daß die Jugendlichen in Taizé keine fertigen Antworten bekommen, sondern versucht wird, ihnen Vertrauen zu schenken und in ihnen das Verantwortungsbewußtsein für ein Leben in Gemeinschaft wachsen zu lassen, das der Kommunismus so gänzlich ausgelöscht zu haben scheint.

Letzte Aktualisierung: 11. Mai 2005